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Für *Vorleser

Zwischen den Liedern

16. Dezember 2015
Von Richard Diesing

Als ihm die Hände zu Pranken schwollen, war für Torsun, Chef der Band Egotronic, Schluss mit Musikmachen. Das Rheuma hatte ihn erwischt. Was tun mit der freien Zeit? Das Ergebnis ist in diesem Herbst erschienen.

Torsun in öder Umgebung. Keine Arbeit wollte er nicht, also machte er ein Hörbuch.

Torsun in öder Umgebung. Keine Arbeit wollte er nicht, also machte er ein Hörbuch.

Als ihm die Hände zu Pranken schwollen, war für Torsun, Chef der Band Egotronic, Schluss mit Musikmachen. Das Rheuma hatte ihn erwischt. Was tun mit der freien Zeit? Das Ergebnis ist in diesem Herbst erschienen.

Ein Bonner Hotel, weder nobel noch heruntergekommen. Ein Hotel, in das der 50-jährige Familienvater genauso gerne eincheckt wie der 20-jährige BWL-Student. Als ich ankomme, es regnet in Strömen, öffnet mir Torsun die Tür. Eine Rezeption gibt es nicht. Ich folge ihm in eines der schmucklosen Zimmer, das, so würde Torsun selbst es vermutlich beschreiben, „bürgerlich“ genannt werden könnte. Mit Vollbart und Nasenpiercing passt er nicht in dieses Ambiente. „Keine Arbeit lieber Tanzen“, verkündet das T-Shirt des Frontmanns der Elektro-Punk-Band Egotronic.

In diesem Herbst hat Torsun ein Hörbuch veröffentlicht, „Raven wegen Deutschland“. Dieses autobiographische Werk, das er gemeinsam mit dem Autor und Musiker Daniel Kulla geschrieben hat (er betreibt unter anderem das Blog classless.org), ist bereits vor vier Jahren in Buchform erschienen. Warum jetzt das Hörbuch? „Es war eine Notsituation“, sagt Torsun. Während das Hörbuch entstand, litt er an Rheuma. Mit dick geschwollenen Handgelenken konnte er seinem eigentlichen Broterwerb unmöglich nachgehen: „Ich konnte keine Musik mehr machen.“ Aber vorlesen, das ging noch. Und so las er; von Auftritten im Rausch, durchfeierten Nächten und einer Albumproduktion im Epizentrum des Rabatzes: Darmstadt.

Torsun kommt vom Dorf. Gemocht hat er´s nicht. „Ich glaube jeder, der Dorf kennt, weiß, wie schlimm Dorf ist“, sagt er lachend. Egotronic, seit zehn Jahren beim Hamburger Kult-Label „Audiolith“ unter Vertrag, gründete er 2001. Die Musiker um ihn herum kamen und gingen, als einzige Konstante blieb er selbst. Zuletzt richtete sich die Band mit ihrem Album „Die Natur ist dein Feind“ neu aus, Richtung Punkrock. Zuvor war die Band mehr Elektro als Punk. Aber eines war und ist sie immer: politisch. Unter anderem beteiligen sich Egotronic an der Initiative „I Can't Relax in Deutschland“, eine Initiative verschiedener Kulturschaffender, zumeist Musiker, die sich gegen einen neuen Nationalismus in Deutschland wendet.

Egotronic, das ist die antideutsche Vorzeigeband – so wird sie jedenfalls oft dargestellt. Die antideutsche Strömung innerhalb der radikalen Linken kritisiert vor allem Antisemitismus, von links wie rechts; sei es bei verkürzter Kapitalismuskritik, sei es beim Nahostkonflikt. Obwohl er den Antideutschen nahezustehen scheint, ist Torsuns Verhältnis zu ihnen zwiespältig. Es gäbe Personen bei den Antideutschen, erzählt er, die „den Glauben an Veränderung oder daran, dass es etwas Besseres geben kann, verloren haben.“ Das seien keine Kommunisten mehr, sondern nur noch Liberale. Seine eigene Haltung ist immer wieder in den Texten von Egotronic hörbar. In Liedern wie „Möllewahn, tolerante Nazis oder Raven gegen Deutschland“ wird gegen vieles Stellung bezogen: antisemitische Israelkritiker, Nazis, Patrioten.

Weder Alter noch Rheuma haben Torsun bisher dazu gebracht, weniger politisch radikal zu sein oder die Musik an den Nagel zu hängen. Auch wenn es manchmal schwer war. Bei den ersten Konzerten nach Ausbruch der Krankheit „hab ich mich mit massenweise Cortison bühnentauglich gekriegt. Die Konzerte waren geil, aber ich habe mich da immer auf die Bühne gequält.“ Im Moment kommt er mit seiner Krankheit gut zurecht. Nach dem Interview spielt Torsun mit Egotronic in einem kleinen Theater beim „Keinkultur“-Festival. Zu verdienen gibt es da nicht viel, Charme hat es aber. Was man eben so macht, als Idealist.


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