Feminismus – mehr als ein schickes Label?
10. August 2015
Von Carolina Schwarz
Feminismus und rasierte Achselhaare passen sehr wohl zusammen. Bei Polly Vernon ist Feminismus „hot“ – geschminkt und sexy. Und verkommt dabei leider sehr schnell zu einem bloßen Label, das schick zu tragen ist.
Bild: Rie Pfeiffer

Rot geschminkte Lippen, rasierte Achseln, High Heels an den Füßen - und Feministin? Für Polly Vernon, Journalistin und Kolumnistin aus Großbritannien, gehört das zusammen. Ihr Erstlingswerk „Hot feminist. Modern feminism with style without judgment“ ist eine Mischung aus Memoiren und Manifest. „Hot feminism“ definiert sie als eine neue Bewegung, die sich an Frauen richtet, die sich gleichermaßen für ihr Aussehen wie für die Rechte von Frauen interessieren. Eine feministische Ausrichtung, mit der sie sich vom klassischen Feminismus abgrenzen möchte. Leider versäumt sie, zu erklären, was der klassische Feminismus eigentlich sein soll.
Ihr Bild einer klassischen Feministin scheint das einer alten, behaarten und faltigen Frau zu sein, die sich stets über Fashion-Trends und Diätpläne echauffiert, Vernon möchte eine Bewegung gründen, die ihr Interesse für Fashion und Beauty mit ihren eigenen Wünschen und Hoffnungen verknüpft - und so wurde Hot Feminism geboren.
Hot Feminism? Hot like: hot yoga, and hot topic, and also hot as in sexy hot, obviously, I told my favourite, longest term editor N. Hot as in potato, and dangerous and relevant and ouch. Hot feminist!
FeministInnen dürfen auch gut aussehen, das wussten wir auch schon vor Polly Vernon. Doch neu ist, dass Vernon, behauptet, Frauen seien vom klassichen Feminismus verwirrt und verschreckt. Er verurteile zu viel. Er sei eine Mischung aus Angst und Zweifel, etwas Falsches zu sagen oder zu tun. In ihrem Freundeskreis bemerkt sie, dass Frauen es vermeiden, sich Feministin zu nennen. Die Sorge ihrer Freundinnen sei es, sich mit ihren durchtrainierten Körpern und ihren Ansichten nicht feministisch genug zu verhalten. Sie befürchten, von klassischen FeministInnen für ihr Verhalten und Aussehen verurteilt zu werden. Vernon will, dass Frauen aufhören, andere Frauen für ihre Form des Feminismus zu verurteilen und jede/r anziehen, sagen und handeln kann wie sie/er möchte – und verurteilt dabei selbst! Der „feminism without judgement“ ist wie ein Basar, auf dem sich jede/r das Beste rauspicken kann, um ihren/seinen eigenen Feminismus zusammenzubasteln; solange sie/er dabei nicht zu viel verurteilt.
Modestrecken in Magazinen, die mit Photoshop überarbeitet werden und so unrealistische Bilder von Frauenkörpern (re)produzieren, stören sie nicht. Dass der Barista von nebenan sie „chick“ nennt und Frauen nicht zu Talkshows im Fernsehen eingeladen werden – ist ihr egal. Zu trivial, um sich damit auseinanderzusetzen! Vernons Hauptanliegen sind Gender Pay Gap, sexueller Missbrauch von Frauen und der Einsatz für das Recht auf Abtreibung. Ausgewählt hat sie diese Themen, da sie selbst von ihnen betroffen ist. Sexistische Spitznamen am Arbeitsplatz stören sie nicht, da sie noch nie solch einer Situation ausgeliefert war. Doch dass ihr Kollege mehr Geld verdient, empört sie.
Das Problem bei dieser Herangehensweise: Vernon betrachtet alles nur von ihrem persönlichen Standpunkt aus. Vernon schenkt anderen Problemen keine Aufmerksamkeit, da es ihr zu anstrengend erscheint. Und hier liegt ihr größter Fehler: Vernon verkennt den wichtigen Zusammenhang zwischen den kleinen Dingen, die eine Kultur schaffen, in der Frauen missachtet und objektiviert werden und den Anliegen, die sie verändern möchte. Durch die vorrangig männliche Besetzung einer Talkshow bleibt das Bild des erfolgreichen Mannes und einer männlich geprägten Arbeitswelt in den Köpfen der Menschen bestehen – und bei den nächsten Gehaltsverhandlungen hat sie als Frau wieder schlechtere Karten. Vernons „feminism without judgement“ erkennt zwar einige Probleme also solche an, doch werden daraus keine Konsequenzen gezogen. Sie erkennt weder die Zusammenhänge, noch äußert sie den Wunsch, die bestehenden traditionellen Rollenvorstellungen zu dekonstruieren. Zudem lässt sie viele Problematiken unter den Tisch fallen, redet sie klein oder ignoriert sie.
Gleichzeitig beschäftigt sie sich aber lieber seitenlang damit, dem/der LeserIn Fashiontipps zu erteilen („Do think about the relationship between your hair and your outfit!“, „Don't overspend on knitwear!“, „Do wear pink with abandon!“), erzählt von ihren Erfahrungen mit Rasieren und Waxen ihrer Haare an jeglichen Körperstellen und erklärt, wie man „fanciable“ werden kann, um Männern zu gefallen. Für einen Feminismus ja ein besonders wichtiges Merkmal!
Was hat dieser Hot Feminism mit Feminismus zu tun?
Polly Vernon schreibt für eine sehr kleine Gruppe von Menschen, die so sind wie sie selbst. Für Frauen, die beruflich erfolgreich sind, deren Aussehen dem westlichen Schönheitsideal entspricht und die in ihrem privilegierten Leben kaum Diskriminierung ausgesetzt sind. Diese werden sich in dem Buch vielleicht wiederfinden und sich freuen, sich Feministinnen nennen zu können, ohne ihre Einstellungen und Handlungen weiter hinterfragen zu müssen. Doch verkommt Feminismus auf diese Weise nicht zu einem reinen Label ohne Wirkungskraft?
Ihre LeserInnen werden aufgefordert, sich ihren eigenen Feminismus zu suchen, ohne zu verurteilen und verurteilt zu werden. Doch dabei wird unterschlagen, dass Frauen in der ganzen Welt von der Gesellschaft Beurteilungen und Zwängen ausgesetzt sind. Ein Zustand, der verurteilt werden sollte! Eine soziale Bewegung, in der jede/r nur einzeln für ihre/seine persönlichen Anliegen eintritt und nichts verurteilt werden darf, hat keine Wirkungskraft. Ohne Diskriminierung und unterdrückende Strukturen zu kritisieren, verändert sich nichts. Mit einem Hot Feminism, der die meisten Probleme schlichtweg ignoriert, kann man nichts gegen die existierenden Missstände setzen. Aber, hey - das Label Feminismus trägt sich halt gut.
Hot feminist: Modern feminism with style without Judgement, von Polly Vernon, erschienen am 21. Mai 2015 bei Hodder & Stroughton. Kostet ca. 15 Euro. Bisher nur in englischer Sprache erhältlich.
Noch keine Kommentare vorhanden.