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Für *Improvisateure

Im Bett mit Tom Lass

9. Dezember 2014
Von Hannah Schopf

Die deutsche Filmkritik hält ihn für einen der spannendsten Nachwuchsregisseure, Film-Legende Klaus Lemke findet ihn „electrifying“. Zum Start seines Kinofilms „Kaptn Oskar“ hat sich TONIC an das Nachwuchs-Genie Tom Lass rangekuschelt.

Bild: Florian Tenk

Es ist einer dieser Morgen, an dem ich mich mit noch ganz umnachtetem Augenaufschlag latent desorientiert in einem fremden Bett wiederfinde. Erst mal an die Schulter nebenan rankuscheln. Es ist die Schulter von Tom Lass, Filmemacher. Oh, hallo, Tom! Du hier? Auch die Bettwäsche ist mir nicht fremd. In ihr hat der Schauspieler Tom Lass als Denny ziemlich viele Frauen flachgelegt. Hinten, vorne, oben, unten, volles Programm. Und ich habe ihm dabei ziemlich interessiert zugeschaut, im Film „Papa Gold“. Jetzt hat Tom Lass, Regisseur, Schauspieler und Zufallsfund in diesem Bett, einen neuen Film gemacht: „Kaptn Oskar“.

IM BETT: „Ich bin ja schon eher ein Kontrollfreak“

Guten Morgen Tom, seit wann bist du eigentlich Filmregisseur?

Naja, also... wann ist man das? Die ersten Filmexperimente haben mein Bruder Jakob und ich in einem Garten in Holztraubach mit einer High-8-Kamera gemacht: Stop-Trick mit Dinosauriern, ein pseudo-bayerischer Road-Movie mit Gespensterbegegnung, Science-Fiction mit Aliens in Müllsäcken und solche Sachen. Dann habe ich 2009 angefangen, mit Peter Trabner Papa Gold zu drehen.

Du wolltest also schon immer was mit Filmen machen?

Ne, eigentlich wäre ich ja Programmierer geworden. Also, ich habe nie irgendwas studiert, aber ich war immer süchtig nach Computerspielen und stand meine ganze Kindheit in diesen Kaufhäusern und habe dort Nintendo gespielt, weil wir keinen Fernseher hatten. Mein Bruder hat mir QBasic-Grundlagen beigebracht und ich habe kleine Spiele programmiert. Ich hab sogar beim Bundeswettbewerb Informatik teilgenommen. Programmieren hat auch viel mit Kontrolle zu tun.

Du bist ein Kontrollfreak?

Ja, eigentlich schon. Deswegen frage ich mich auch, warum ich die ganze Zeit Impro-Filme mache. Vielleicht weil ich da endlich Freiheit spüren kann? Weil ich die Kontrolle wirklich abgeben muss? Bist du übrigens sicher, dass das Aufnahmegerät läuft? Ich hab das gar nicht überprüft. Ah, da bewegen sich Zahlen, das ist wichtig. Wir können auch mal kurz einen Stellungswechsel machen! Vielleicht in die Badewanne? Oke, mach mal hier Pause, das war der erste Take.

Tom, ganz der Regisseur, bugsiert die Interviewerin und den Fotografen ins Badezimmer und richtet die Szene ein. „Nimm das Handtuch mit den Fischen!“ Es fallen ein paar Hüllen mehr, und als ich meine Strumpfhose ausziehe, mache ich mir innerlich die Notiz: „Repräsentative Interview-Unterhose ohne Löcher anschaffen“. Dann sitzen Tom und ich uns nachdenklich in der Badewanne gegenüber.

IN DER WANNE: „Am Set lauert die Realität“

Du hast gerade gesagt, du machst Impro-Filme, arbeitest also ohne oder nur mit minimalem Drehbuch. Worum geht es dir bei dieser Form?

Ich halte die vielbeschworene Vision des Regisseurs für totalen Quatsch – also, er braucht natürlich eine Vorstellung davon, was passieren könnte. Aber dass der Regisseur haargenau weiß, was passiert, und das dann exakt herstellen kann, das funktioniert vielleicht im Animationsfilm. Wenn du mit lebenden Subjekten in der Realität einer Welt arbeitest, durch die die Zeit läuft, ist das ein anderer Prozess. Ich finde, dann muss man das auch in die Arbeitsweise... ich sitze nackt in der Badewanne! (lacht)

Du verleugnest also nicht die Realität des Filmemachens, der Situation am Set.

Genau. Das eine ist Fantasie, es passiert im Kopf, am Schreibtisch. Ob ich da jetzt „Zwei Personen in einem Zimmer“ oder „17 Hubschrauber und Peter Trabner auf dem Feld“ oder „und dann kommt der Hund und beißt den Mann“ schreibe, ist erst mal egal, Buchstaben kosten alle gleich viel. Aber dann kommst du mit deinem Blatt Papier ans Set, und da lauert die Realität. Und dann regnet's und du brauchst einen Hundetrainer und der Hund ist dick und hat Migräne und die Hubschrauber sind kaputt und der Schauspieler Peter Trabner passt nicht rein und was weiß ich und du bist frustriert, dass nichts so ist, wie du es dir vorgestellt hast. Da habe ich gesagt: Lasst uns doch das, was passiert, nutzen! Ich meine, es funktioniert nicht immer, aber bei einem Kurzfilm von meinem Bruder fährt plötzlich wahnsinnig laut ein Zug hinten durchs Bild. Man könnte den Take wiederholen, aber er hat den Take mit dem Zug verwendet. Peter Trabner hat sich am dritten Drehtag von Papa Gold sein Kreuzband angerissen. Bei einem anderen Dreh würde man sagen: Filmausfallversicherung, wir müssen verschieben. Aber wir haben mit offen sichtbarer Schiene weitergemacht.

Das ist natürlich praktisch, wenn man weniger plant. Zufälle sind dann nicht mehr bösartig, oder?

Ja, der Zufall ist der einzige legitime Herrscher des Universums! Hat schon Napoleon gesagt. Oder Erich Kästner: Je üppiger die Pläne blühen, umso verzwickter wird die Tat! Der Zufall ist für die Natürlichkeit und die Unvorhersehbarkeit der Geschichte sehr wertvoll.

Wie verändern diese Freiheiten die Aufgaben der Schauspieler?

Gerade die Verantwortung des Schauspielers ist größer. Ohne Drehbuch hat er eine dramaturgische Verantwortung, weil er seiner Figur durch den Film hindurch eine Linie geben muss, auch wenn wir nicht chronologisch drehen. Man muss auch mit Eitelkeiten umgehen können. Du brauchst schwache Momente, du musst deine Figur dahin bringen, wo es wehtut, wo sie mal nicht weiterweiß!

Glaubst du, dass die Geldlosigkeit eine Voraussetzung für die Entstehung von Improvisation war?

Das hat bestimmt dazu beigetragen, aber es darf überhaupt nicht das Ziel sein, mit sehr wenig Geld auszukommen. Man kann keine Filme machen, indem man sich selbst und alle anderen ausbeutet. Ich meine, das war natürlich auch ein Geschenk bei den ersten beiden Filmen: Da hatte ich absolute Freiheit und es gab niemanden, der mir da reingequatscht hat. Bei der Zusammenarbeit mit Redaktionen kamen dann immer so Anforderungen wie „gesellschaftliche Relevanz“. Äh, was ist denn bitte nicht gesellschaftlich relevant!? Komm, wir machen wieder einen Stellungswechsel, oder? So, das war der Take zwei.

Nach diesen Sex-konnotierten Settings entscheiden wir uns dazu, auf der Küchenzeile häuslich zu werden. Dazu gibt es Rotkäppchen-Piccolo von Tom und rote Gauloises von Foto-Flo. Der Regisseur: „Oh Gott, mir ist schwindelig. Es gibt noch so viel zu sagen. Ich muss noch einen Stempel auf dich machen“ – sagt’s und stempelt der Interviewerin den Titel seines neuen Films „Kaptn Oskar“ auf Brust und Schenkel. Guerilla-Marketing halt.

AUF DEM HERD: „Wenn mir Metaphern vor die Stirn geklatscht werden, muss ich kotzen“

Also geht es darum, die Freiheiten der Nische jetzt irgendwie halbwegs unbeschadet in das System zu exportieren?

Das ist die große Herausforderung. Es ist ja auch toll, dass es in Deutschland so viel Geld gibt für Filme. Auch wenn es natürlich noch viel mehr geben sollte. Film ist meiner Meinung nach nicht nur Eskapismus und Entertainment, Film ist wirklich ein Baustein der Zivilisation, das ist Geschichtenerzählen.

Am auffälligsten finde ich das immer bei Sexszenen. Manchmal erwischt man sich ja selbst dabei, dass man sich im Bett gerade ein bisschen hollywoody verhält...

Das ist tatsächlich ein spannendes Thema, Menschen lernen durch Nachahmung, aber wann sehen wir schon andere beim Sex? Die einzigen Möglichkeiten sind Pornos oder die dezente Variante in Filmen, und in beiden Fällen ist es eigentlich eher eine Entfernung von der Realität. Wobei meine Sexszenen auch keine Eins-zu-eins-Darstellungen davon sind, wie ich Sex habe, ganz im Gegenteil. Aber trotzdem wollte ich mich entfernen von dieser klassischen Kerzenscheinästhetik, die mich einfach anekelt, die alles ausblendet, was dreckig ist. Für mich werden Sexszenen dann spannend, wenn man da noch mehr über die Figuren erfahren kann durch die Art und Weise, wie sie miteinander schlafen. Sind sie da extrem schüchtern, oder sind sie da gemein zueinander, oder kommen da Ängste hoch, ich will dir nicht wehtun, ich will nicht benutzt werden, das kann ja wahnsinnig spannend werden.

Gehört zu eurer Motivation, den jungen deutschen Film zu revolutionieren, eigentlich auch eine Art Killerinstinkt, alles vernichten und neu machen zu wollen?

Klar, Rebellion... ist jetzt aber trotzdem nicht so der Hauptgrund dahinter. Ich schaue trotzdem sehr gerne Blockbuster, das tut mir gut. Es gibt ja immer wieder gute, auch wenn ich ganz oft Filme sehe, die ich schrecklich finde, die mir wehtun, die mich ankotzen. Überbearbeitete Drehbücher, Filme ohne Leben. Oder wenn man dauernd die Absichten sieht: Der Regisseur will mir das und das sagen, jetzt zeigen sie es mir symbolisch. Und wenn mir dann so Metaphern vor die Stirn geklatscht werden, muss ich kotzen.

Am Dienstag, den 9. Dezember feiert „Kaptn Oskar“ Premiere in der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Am Donnerstag, 11. Dezember 2014 läuft der Film in den deutschen Kinos an. Sonst läuft der Film noch bei Klaus Lemke, dem Godfather of German Mumblecore:

PS von Manon, die das Interview dankenswerterweise von China aus redigiert hat: „Warum erwähnen wir eigentlich nie, dass Tom Lass vorher in Klassikern wie Harte Jungs, Knallharte Jungs, Klassenfahrt – Geknutscht wird immer und Schulmädchen mitgespielt hat!? (Leugnen zwecklos, wir hatten doch alle langweilige Sonntagnachmittage und kaum mehr als RTL...)“

PPS von Tom, der das Interview dankenswerterweise von Berlin-Neukölln aus autorisiert hat: „Wer hat schon eine reine Weste? Ich war jung und jetzt bin ich alt und brauche das Geld immer noch. Ich würde es sofort wieder tun.“


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