Eamon tanzt
18. Dezember 2014
Von Maurice Ressel und Jakob Hinze
Von der kleinen Stadt Guiuan auf den Philippinen ließ Taifun Haiyan wenig übrig. Nimfa und ihr Sohn Eamon kamen in einem Zeltlager unter. Eamon hat das Down-Syndrom und nicht die richtigen Medikamente – er beschäftigt seine Mutter rund um die Uhr. Fotograf Maurice verbrachte einen Tag an ihrer Seite.
Guiuan war eine kleine Stadt auf der philippinischen Insel Samar. Heute gebraucht man für die Stadt nur noch die Vergangenheitsform. Am 8. November 2013 zog der Taifun Haiyan über sie hinweg. Er war einer der schwersten Wirbelstürme seit Beginn der Wetteraufzeichnung und zerstörte die Stadt fast völlig. Die Einwohner Guiuans verloren entweder ihr Leben oder ihren Besitz, ihre Heime eingeschlossen. Unterschlupf fanden viele in eilig errichteten Notunterkünften der Vereinten Nationen, sogenannten Tent Citys.
Maurice Ressel war im Frühjahr 2014 für die Don Bosco Mission auf den Philippinen. Er dokumentierte dort als Fotograf die Aufbauarbeiten, die die Bruderschaft auf den Philippinen initiiert. Am 13. März hatte er frei. Er griff sich seine Kamera und fuhr in die einen Kilometer von Guiuan entfernt liegende Zeltstadt. Dort begegnete er Nimfa und Eamon Dacatimbang.
Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen: immer das Kind
Eamon ist zehn. Er hat das Down-Syndrom und einen Herzfehler. Nimfa, seine Mutter, kümmert sich den ganzen Tag um ihn. „Mein Kind ist mein Beruf“, sagt sie, und diesem Beruf ist sieben Wochentage vom Aufstehen bis zum Schlafengehen verpflichtet. Ihr Mann Catalino, der Fischer ist und durch den Taifun wie fast alle ortsansässigen Fischer sein Boot verlor, verbringt den ganzen Tag in der nächstgrößeren Stadt auf der Suche nach Arbeit. Kehrt er abends in die Zeltstadt zurück, ist er ausgelaugt und schweigsam. Seiner Frau ist er bei der Betreuung des Jungen keine Hilfe.
Nimfas Tag in Tent City folgt einem festen Rhythmus. Viele Lagerbewohner klagen über große Langeweile, Nimfa aber ist fast immer beschäftigt: Morgens wird Eamon gewaschen, gebürstet und für den Tag hergerichtet. Anschließend machen die beiden, auf dem Zeltboden hockend, Schreibübungen. Nimfa selbst ist Analphabetin, dementsprechend wenig kann sie ihrem Jungen beibringen, der wegen seiner Behinderung niemals eine Schule besucht hat. Seine Konzentrationsspannen sind kurz, er ist zappelig, bricht manchmal in heftige Weinkrämpfe aus, wenn ihm die Geduld reißt. Nimfa kann sich die Medikamente, die ihr Junge braucht, nicht leisten. Aber die Versuche, ihm etwas beizubringen, gibt sie nicht auf.
Eamon will Aufmerksamkeit
Tagsüber spielt sich das Leben in Tent City draußen ab. Die Bewohner sitzen auf Tischen und Stühlen auf den freien Flächen, es gibt einen Kiosk, es gibt einen Basketballplatz. Auch Eamon geht gerne ins Freie. Er ist sehr anhänglich, kommt nah an die anderen Leute heran und versucht, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Die anderen Kinder haben manchmal ein bisschen Angst vor ihm. Ab und zu beginnt er zu tanzen, wenn sich ein kleines Publikum versammelt hat. Das sieht ziemlich wild aus, oft entledigt sich Eamon während der Vorstellung seiner Kleider. Die Lagerbewohner schauen sich das Spektakel gerne an. Der Alltag in Tent City ist trist.
Wie lange das Leben, das Maurice fotografierte, noch in den provisorischen Bahnen der Zeltstadt kreisen wird, ist schwer zu sagen. „Die Aufbaumaßnahmen sind in dieser Region nicht so schnell angelaufen wie in den anderen“, sagt er. „Doch die Bevölkerung hat begonnen, sich selbst zu helfen. Die Philippinen sind nicht unterzukriegen. Einige haben jetzt beim Wiederaufbau gelernt, wie man Häuser baut. Also bauen sie einfach ihre eigenen.“
Weitere Bilder von Maurice findet ihr unter www.mauriceressel.de.
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