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Für *Rammler

„Jedem ihm sein Spirit“ – Im Kaninchenbau mit HGich.T

30. November 2014
Von Helene von Schwichow und Niklas Binder

Helene aus Berlin ist Plattenspieler-Redakteurin bei TONIC

Texte von Helene
autor@tonic-magazin.de

Helene von Schwichow

Kanye West, alle Radfahrer Deutschlands und Deichkind sowieso – sie alle klauen ziemlich sicher bei HGich.T. Wir haben das Goa-Performance-Kollektiv zum Interview getroffen. Zwei Kaninchen waren auch dabei.

„Hey, fahren wir am Freitag nach Hamburg und machen ein Interview mit HGich.T?“ – „Klaro, aber was ziehst du an?“ – „Hab da so eine neon-blaue Perücke.“

HGich.T, das ist dieses crazy Goa-Performance-Kollektiv. Mit Hits wie „Hauptschuhle“, „Harz For“, „Die affengeile Klopapiernummer“ und „Igor Amore“.
Der Grund, warum man sich bei jeder harmlosen Verkehrskontrolle den Polizist mit Laserschwert vorstellt, ja. Weil sie in „Tutenchamun“ singen:

„ein polizist mit elfen-ohrn, ja
mit diesen elfenohrn schreibt er was auf..
ein polizist mit laserschwert, ja
mit diesem laserschwert schreibt er was auf.. ahh
ein polizist mit krallen dran, ja
mit diesen krallen dran hebt er was auf..“
(Quelle: http://www.hgicht.de/texte/text-tutenchamun.htm)

Auf dem Weg noch schnell zwei, drei alte Interviews über Goa und Gaga gelesen, einige Verschwörungstheorien nachgeschlagen und die blauen Haare zurechtgerückt. Dann spuckt uns der Fernbus aus Berlin mitten in der Hamburger Innenstadt aus. Wir pinkeln uns bei dem Gedanken an das bevorstehende Interview heftigst ins Hemd. Wir hätten den mitgebrachten Schnaps vielleicht einfach schon im Bus trinken sollen, anstatt uns pseudointellektuelle Fragen in unser schwarzes Existenzialisten-Notizbüchlein zu kritzeln. Denn was uns schlussendlich in dieser Crackhöhle/diesem Interviewraum/Kellergewölbe/Hasenstall/Atelier erwartete, sprengte jegliche Vorstellung, die wir davor von gelebter 90er-Trashoptik und konsequent durchgezogenen Kunstperformances hatten.

Obwohl es ein heißer Spätsommertag ist, dringt kaum Tageslicht in das Kellergewölbe, in dem das Interview stattfindet. Mit uns: ein glatzköpfiger alter Mann mit Schnauzer (Opa 16), ein Typ in Leggins mit Neon-Azteken-Print (Dr. Diamond), ein Mädchen, das offensichtlich einem 90er-Emo-Punkvideo entsprungen ist (Chanel) und eines mit meterlangen Dreadlocks (schöne Maike). Außerdem dabei: DJ Hundefriedhof, Marc-Alexander und Harry Cojonez. Es ist die Wohnung von Bandmitglied Marc-Alexander. Überall gibt es obskure Kunstwerke zu bestaunen und ab und an flitzt ein Kaninchen über den Fußboden.

TONIC: Haben die Hasen eigentlich Namen?
Marc-Alexander: Das sind Elfriede und Rammly.
TONIC: Rammly? Weil er so viel rammelt?
Marc-Alexander: Der hat mal gerammelt. Der ist jetzt behindert. Der hat sich durch Inzucht vermehrt und hatte dann ne Immunschwäche und ist krank geworden. Ein Freund von mir, der hatte Krebs gehabt und jetzt hat er den Krebs besiegt und hat jetzt Diabetes 1, als Folgeschaden. Das Immunsystem war dann falsch programmiert. Und der hatte Bandwürmer und als er die losgeworden ist, hat er dann nen schiefen Hals gehabt, das sind dann die Folgeschäden. Oder irreparable Schäden, die durch Krankheiten entstehen.

TONIC: Also wir dachten uns, wir würden zum Kennenlernen erst mal ein Spiel mit euch spielen. Weil man oft liest, dass man nicht genau weiß, ob eure Musik jetzt Gaga oder Dada ist. Deswegen sagen wir jetzt ein paar Begriffe und ihr sagt assoziativ „Gaga“ oder „Dada“.
Harry Cojonez: Wir denken, das ist alles Gaudi. Wir sind ne Bande...
TONIC: Markus Lanz?
Alle: Gott.
TONIC: Kornkreise: Gaga, Dada, Gaudi oder Gott?
DJ Hundefriedhof: Dada!
TONIC: Burkini?
Schöne Maike: Was ist das?
TONIC: Ein Badeanzug für Burka-tragende Frauen.
Dr. Diamond: Das ist Pragmatismus, ganz einfach!
TONIC: Die Theorie, dass Deutschland eine GmbH ist?
Schöne Maike: Das ist Markus Lanz!

TONIC: Kennt ihr dieses Video von Kanye West „Bound 2“? Wir sind uns sicher, das hat er von euch geklaut. Es sieht genauso aus wie „Tutenchamun“. Ein cooler Typ mit einer schönen Frau auf einem Motorrad vor dem Blue Screen.
Dr. Diamond: Bei uns wurde so viel geklaut. Zum Beispiel die Radfahrer tragen jetzt alle Warnwesten. Aber das sagt mir tatsächlich gar nichts.
DJ Hundefriedhof: Kennt ihr von Deichkind dieses Zitat „Bück dich hoch, ja?“ Das „Ja“ ist thematisch so eingesetzt, wie wir es auch schon hatten. Vielleicht haben die das aber auch ganz unterbewusst geklaut. Ich glaub „Tutenchamun“ hat sich auf jeden Fall selbst im Grab umgedreht.

TONIC: Ihr arbeitet ja sehr mit einer 90er-Jahre Goa-Ästhetik. Glaubt ihr, dass die Menschen, die euch heute hören, überhaupt noch wissen, was das ist?
Schöne Maike: Was was ist? Was Goa ist?
TONIC: Ja, ob die diesen Stil überhaupt verstehen.
Schöne Maike: Was ist denn unser Stil?
TONIC: Na dieser Goa-Stil.
Chanel: Es gibt da ja die alten Leute, die dann sagen, das war damals in Goa viel geiler als jetzt in Hamburg und Berlin, aber das ist ja auch ganz egal, wenn die Leute dann da Spaß haben, egal ob im Hafenklang oder in Goa oder auf der A7. Wenn man dann mal auf nem Festival ist, dann hört man von den Älteren schon manchmal so: „Ja du weißt doch gar nicht, was Goa ist“ oder „der „heilige Spirit“ ist verloren gegangen.“
TONIC: Fühlt ihr den „heiligen Spirit“?
Schöne Maike: Jedem ihm sein Spirit!
TONIC: Findet ihr wichtig, dass Leute, die eure Musik hören, euren Spirit fühlen?
Schöne Maike: (wütend) WAS DENN FÜR EIN SPIRIT???

DJ Hundefriedhof: Ich glaub du bist krampfhaft spirituell.
Opa16: Naja, man muss einfach die Fantasie haben offen zu bleiben und sich nicht zu verschließen. Ich hab ja HGich.T nicht seit 80 Jahren gemacht, ich kannte die Gruppe gar nicht, bekam einen Anruf und mit einem Mal war ich da drin und da muss man auch die Offenheit haben und sagen „Ich hier als alter Opa stehe jetzt nackt auf der Bühne“ und so weiter. Das sind einfach so wahnsinnige Erlebnisse, die kannst du nicht voraussehen. Und man muss eben einfach diese Offenheit haben, etwas so an sich herankommen zu lassen. Diese Neugier ist wichtig und dann wird eben geguckt und dann ist das mal Scheiß und mal vielleicht auch nicht. Dieses „vielleicht“, das ist interessant!

TONIC: Verfolgt ihr eigentlich die aktuelle Musik, die so produziert wird?
Dr. Diamond: Da kommt man ja nicht dagegen an, man kann ja nichts dagegen machen.
Marc-Alexander: Wenn man zu H&M geht, läuft ja auch was.
Dr. Diamond: Es wohnen ja schon manche Leute im Wald, aber heutzutage ist dann ja im Wald trotzdem ein Breitband angeschlossen, direkt hinterm Baum. Und dadurch ist man quasi ganz chancenlos, wenn man die Musik nicht hören will, kann man praktisch gar nichts machen. Du kannst die nicht ignorieren, aber du kannst halt sagen; Ich kenn die Namen nicht. Aber dann wird es trotzdem gespielt. Es gibt ja zum Beispiel fanatische Anhänger des Islam, wo dann Musik als solche wirklich nicht erwünscht ist und bekämpft wird. Wäre jetzt so ein Beispiel. Kann man sich dann dazu gesellen, wenn einen das so sehr nervt.

TONIC: Da wo ich herkomme, am Ammersee, war gerade ein Kornkreis.
Harry Cojonez: Ich war da! Ich wohne in Garmisch. Wir haben uns das als Spaß auf den Sonntag gegönnt. War herrlich!
TONIC: Böse Zungen behaupten, dass der Bauer den Kornkreis selbst gemacht, um Spenden von den Besuchern zu kassieren.
Dr. Diamond: Wenn du glaubst, der Bauer war das mit den Kornkreisen selbst, ist das ein sehr profaner, hässlicher Ansatz. Es sei denn, er hat es gemacht, um sich kreativ auszuleben. Der andere Ansatz ist, dass er anderes Leben auf sich aufmerksam machen will.
TONIC: Aber warum ausgerechnet durch Kornkreise?
Dr. Diamond: Wie denn sonst? Sollen die hergehen und Hände schütteln? Viele Menschen sind ja erst mal sehr stumpf unterwegs. Bei unserem Konzert wird man das heute Abend sehen. Und die eigentlichen Prozesse, die großen Bewegungen, die verstecken sie, weil das keiner sehen möchte. Und so ein Kornkreis, das wird dann ja im Radio erzählt oder auf YouTube gepostet oder Leute gehen direkt hin. Das sind ganz viele Reize, die das erzeugt. Das ist was anderes, als wenn jemand einfach vorbeikommt und die Hand schüttelt. So ist es eben eine ruhigere Ebene, die sehr schön ist. Sie wird uns noch viele Jahrhunderte begleiten.

TONIC: Was macht ihr jetzt noch, bevor das Konzert anfängt?
Dr. Diamond: Aufbauen und Crack rauchen
Chanel: Meine Mitbewohnerin mag das immer nicht so gern. Das stinkt. Deshalb zieht man sich das auch nicht durch die Nase.

Acht Stunden später im Hamburger Club „Hafenklang“. Die Bässe wummern, das Strobo durchzuckt den Raum. Die schöne Maike liefert eine softe Masturbationseinlage ab. Zwischen spinnennetzartigen Seilstrukturen fällt die schöne Maike auf den klebrigen Boden, wälzt sich mit lasziven Bewegungen in einem Schmodder aus zerbrochenen Bierflaschen, mit Drogen angereichertem Schweiß und einer Substanz, die geschätzte 74 verschiedene Herpes-simplex-Virusstämme beinhaltet. Ihre wahrscheinlich drei Meter langen Dreads hinterlassen dort, einem Wischmopp gleich, einen Schmutz-Schneeengel. Um sie herum steht eine halbes Dutzend Typen in orangen Warnwesten und Pupillengröße auf 100 Prozent; daneben wir, leicht verwirrt grinsend. Die schöne Maike winkt uns zu.

HGich.Ts neues Album „Megabobo“ ist am 7. November auf Tapete Records erschienen.


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