TONIC ist umgezogen! Hier gehts zur neuen Seite.
Für *Absolutisten

Das Deutschland ohne Schuld

17. Oktober 2014
Von Jakob Bajohr

Ein altes Krankenhausgelände in Sachsen-Anhalt: Hier liegt das Staatsgebiet des „Königreichs Deutschland“, ein fruchtbarer Nährboden für Verschwörungstheorien und rechte Esoterik. Jakob Bajohr reiste über die Grenze und traf den König höchstselbst.

Eine eigene medizinische Versorgung gibt es noch nicht.

Eine eigene medizinische Versorgung gibt es noch nicht.

Im Osten geht die Sonne auf. Als ich mich auf den Weg in die Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt mache, ahne ich bereits, dass ich Menschen treffen werde, für die diese Aussage mehr ist als eine schnöde astronomische Tatsache. Denn hier, im Osten der Republik, liegt das Fantasieland Peter Fitzeks: das Königreich Deutschland. Die Fahne dieses stolzen Landes – bestehend aus den umgekehrten Farben der bundesrepublikanischen Flagge und einer aufgehenden Sonne – weht am „Grenzposten“

Aber fangen wir vorne an: In den letzten Jahren – und besonders durch seine Teilnahme an den Montagsdemos – hat der ehemalige Koch und Karatelehrer Peter Fitzek eine gewisse Berühmtheit erreicht. SPIEGEL TV und VICE berichteten bereits über den Mann, der sein eigenes Königreich gegründet hat und für sich selbst Amt und Würden eines Königs beansprucht. Die BRD hält ihn für einen Verfassungsfeind, ein Richter betitelte ihn einst als „notorischen Verkehrssünder“ mit einer „Fantasiewelt mit abstrusen politischen Vorstellungen“. Auch wegen gefährlicher Körperverletzung musste er sich schon vor Gericht verantworten. Fitzek ist das alles egal. Als gütiger Monarch führt er seinen Fantasiestaat wie ein Sektenimperium. Und zieht damit rechte Esoteriker, Nationalpatrioten und Verschwörungstheoretiker an.

Er verkündet, er sei vom Schöpfer gesandt

Es ist Sonntagfrüh, 10 Uhr. Das Königreich hat zum Tag der offenen Tür geladen und gewährt allen Neugierigen Einblick in sein Territorium. Jetzt stehe ich in der „Königlichen Reichsbank“. Zoll, Polizei und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sind hier häufig gesehene Gäste. Wegen illegaler Bankgeschäfte. In einem Regal stehen Bücher mit einschlägigen Titeln: Betrüger Republik Deutschland, Was wirklich im Grundgesetz steht und so weiter. Der Autor heißt häufig Michael Winkler, seines Zeichens Neonazi und Holocaustleugner.

Doch es ist zu spät, um abzuhauen. Der Saal füllt sich und schließlich erscheint auch der Mann der Stunde: Fitzek begrüßt uns alle mit Handschlag, dann geht's los. Er verkündet, er sei vom Schöpfer gesandt, würde auch wahlweise die Rolle des Führers, Messias oder Märtyrers übernehmen. Das gesamte Finanzsystem sei völlig kaputt. In einem Atemzug spricht er über Negativzinsen, Renditen, Lichtnahrung, Homogenität. Deutschland trage nicht die Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg, die BRD sei kein Staat. Ich komme nicht mehr mit. Esoterik, Christentum, rechtes Gedankengut, Geschichtsverdrehung sowie Begriffe aus Wirtschaft und Hochfinanz fliegen mir um die Ohren. Die Worte rauschen an mir vorbei, alles scheint zu verschwimmen.

Ein Fotograf knipst fleißig Bilder, der Applaus dauert minutenlang.

Fitzek signiert einige Ausgaben der neu herausgegebenen Verfassung des Königreichs, dann geht's weiter: Irgendwo im Nirgendwo befindet sich das tatsächliche „Staatsgebiet“: ein rund neun Hektar großes ehemaliges Krankenhausgelände. (Die „Reichsbank“ selbst ist ausgelagert.) Vor der Einreise muss ich – der ich weder Staatsbürger noch Staatszugehöriger bin – ein Tagesvisum erstehen und erhalte dafür ein Begrüßungsgeld in der königlichen Währung von sieben ENGEL (1 ENGEL = 1 Euro).

So ausgestattet mache ich mit einem Pulk rechter Esoteriker hinter einer Schranke Halt und warte auf den Beginn der Besuchstour – angeführt von dem Mann, der auf einem ausgedienten Krankenhausgelände sein eigenes Königreich gegründet hat. Ich ahne: Absurdistan liegt in Sachsen-Anhalt.

Wie kommst du darauf, dass wir rechts sind?

In dem ehemaligen Krankenhauskomplex haben Fitzek und seine Mitstreiter_innen die Zentrale ihres „Staates“ eingerichtet. Irgendwann sollen auf dem Areal und in den Gebäuden Kindergarten, Schule, Universität und Hotel untergebracht sein. Noch sind die meisten Räume leer und ein unangenehmer Geruch liegt in der Luft. Die Kinderbetreuung findet in dem verwahrlosten Krankenhaus bereits statt. Wie sieht wohl eine Kindheit aus, wenn die Eltern rechte Esoteriker sind?

Irgendwann halte ich es nicht mehr aus. Als wir die Schlafgemächer Fitzeks engster Mitarbeiter und Anhänger besuchen, mache ich einen Schritt auf den König zu: „Darf ich dich mal was fragen?“
„Klar.“ Fitzek spricht ganz ruhig, blickt mich sehr freundlich an.
„Ich werde das Gefühl nicht los, dass das die ganze Veranstaltung hier ziemlich rechts ist, oder?“
„Wie kommst du darauf?“
„Na, das Gerede von Homogenität, von Nationalismus, von Reich, Befreiung und einem Führer. Die Bücher von Holocaustleugnern. Das ist doch braune Esoterik.“ Nein, sie seien keine Rechten, erklärt mir Fitzek. Nationalismus sei doch ein ganz natürliches Gefühl, dass es überall auf der Welt gebe. Und Homogenität einer Gemeinschaft sei nun mal der effektivste Weg zum Erfolg. Seine Distanzierung von der neonazistischen Esoterik fällt unbefriedigend aus. Aber inzwischen hängt wieder eine ganze Traube von Menschen an den Lippen Fitzeks. Und jetzt, nach meinem Outing als jemand, der zweifelt an der Heilsverkündung des Königs, werde ich das Gefühl nicht los, von Einzelnen etwas abschätzig beäugt zu werden.

Wunderöle gegen die Kriegsschuld

Ganz anders der König: Zum mittäglichen Spaghetti-Essen lädt er mich ein, an seinem Tisch zu speisen. Fitzek entpuppt sich als äußerst charmanter, verständnisvoller und diskussionsfreudiger Mensch. Seine skurrile Weltanschauung und die derer, mit denen wir am Tisch sitzen, passt nicht zu dem gastfreundlichen und aufgeschlossenen Verhalten, das ich hier erlebe. Eine Dame, die hauptberuflich bei einer Bank arbeitet, ist froh, dass ich die rechten Tendenzen angesprochen habe. Sie betont nochmals: Sie seien keinesfalls Rechte. Ich nehme dies nickend zur Kenntnis, frage mich aber, was diese scheinbar intelligente Frau so anziehend findet am König und seinem Reich. Doch ich komme nicht dazu, mir länger Gedanken zu machen, denn nun erklärt mir der König alles noch mal ganz persönlich: seine Kontakte nach Paraguay, Iran und Russland; warum nur er die Komplexitäten der Politik, des Rechts und der Wirtschaft durchschaue; dass er – natürlich – auch kein Rechter sei; aber als vom Schöpfer Gesandter erkenne er in den Deutschen das Volk, welches das Potenzial habe, „aufzustehen und sich zu wehren“. Der König wünscht sich einen „unverkrampften Nationalismus“, eine Freimachung von der ewig lastenden Schuld.

Mal König, mal Führer, mal Messias: Peter Fitzek

Mal König, mal Führer, mal Messias: Peter Fitzek

Freimachen von der Schuld? Auf dieses Stichwort hat eine andere Besucherin nur gewartet. Die Hardcore-Esoterikerin ist Fachfrau für diverse Öle. Und sie hat tatsächlich eines dabei, von dem sie behauptet, dass es einen Deutschen bei „regelmäßiger Anwendung“ (vermutlich in Form einer Ganzkörpereinreibung) von der Last der historischen Schuld befreie. Zu einem derart haarsträubenden Unsinn weiß selbst der wortgewandte König nichts mehr beizutragen. Aber die anderen Besucher sind von der öligen Wirkung mehr als überzeugt. Und dann erfahre ich noch, dass die vier Kirchen in Lutherstadt Wittenberg eine energetische Linie bilden sollen, die bisher jedem Kanzlerkandidaten, der davon wusste, zum Wahlsieg verholfen habe.

Nach dem Mittagessen bietet Fitzek zahlreiche Workshops an. Trotz Einladung verzichte ich auf eine Teilnahme. Mir steht der Sinn nach „Ausreise“. Der König organisiert mir prompt einen Fahrer zum Bahnhof. Majestät, ich danke Ihnen!

Sie sind unter uns

Im Zug beobachte ich die anderen Fahrgäste. Mit dem Gedanken im Kopf, dass eigentlich jeder von ihnen einen Ausweis des Königreichs Deutschland in der Tasche haben könnte und dem Zweifel an meinem eigenen Verstand ob des an diesem Tag Erlebten, lehne ich mich zurück, während ich das Königreich immer weiter hinter mir lasse.

Keine Frage, wir leben in einem verrückten Land. Die Europäische Union und die Komplexität des innerpolitischen Systems und der internationalen Beziehungen haben Politik vielleicht für viele Menschen unverständlich gemacht. Der politische und wirtschaftliche Betrieb scheint für einige nicht mehr durchschaubar. Die Hoffnung auf Veränderung innerhalb des Systems und den Glauben an die politische Partizipation und die Demokratie haben sie aufgegeben. Fitzek und seinen Anhängern geht es nicht um die Veränderung der bestehenden Umstände, sondern um einen „Ausstieg aus dem System“. Und so pilgern sie zu Montagsdemos, geben ihre Personalausweise ab und glauben an die Zukunft ihres Königreichs – gegen Chemtrails, das Finanzsystem, die Bundesrepublik und vor allem: gegen jede Vernunft.


Kommentare

Lord Am 24. Oktober 2014

Bitte auch eine eigene Vorwahl für das Königreich!

:-)

004711 ?

www.freefax.de

kostenlos faxen!