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Für *Falschfahrer

Polizistenbeleidigung

4. September 2014
Von Fabian Stark

Pflastersteine auf Streifenwagen, Salatteller auf Ordnungshüter, Kanonen auf Spatzen: Der Unmut über die Polizei steigt – ob bei Demos, Verkehrskontrollen oder Spazierfahrten. Fabian fragt: Was ist da los?

An Weihnachten traf ich Max*, einen alten Freund. In der Schulzeit hatte er mir die Musik von Led Zeppelin nähergebracht, nun machte er eine Ausbildung beim Bundesgrenzschutz, wie er es sich gewünscht hatte. Der Kopf war rasiert, Schulter und Arme nun Produkte eines Pumpwerks. „Was reizt dich an der Polizei?“, fragte ich. „Sicherheit! Ordnung!“, schoss er wie aus der Pistole. Ich verstand das als Ironie. Bis Max mir wenig später erklärte, dass so eine Uniform schon toll sei, er sich aufs Schießen freue und es nicht erwarten könne mal auf eine Demo zu fahren, um diese „linken Chaoten“ zu „kloppen“.

Ich würde die Polizei gerne als Freund und Helfer sehen. Doch sie hat ein Problem, ein politisches, ein dogmatisches, ein praktisches und ein institutionelles. Ich singe kein linksautonomes Lied von Bullenschweinen, war nicht deren Opfer, höchstens ihrer miesen Laune und kleiner Schikanen. Doch ich gehöre zu den immer mehr Menschen, die laut Zeit Online Unmut über die Exekutive kundtun: Sappralott, auch „von den Tischen der schicken Restaurants“ fliegen „Salatteller auf die Polizisten“!

Nächstes Mal besser Streitschlichter?

Die Berliner Polizei versucht in der Gürtelstraße, Flüchtlinge auf einem Dach auszuhungern, wie TONIC-Fotograf Chris schrieb. Sie stellt das Hausrecht des Hosteleigentümers über das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Besetzer. Vor zwei Monaten belagerten Hunderte Polizisten die Schule an der Ohlauer Straße in Berlin, um die etwa 40 Leute, auch sie Flüchtlinge, „freiwillig“ da rauszuholen. Drohgebärden gegen Leute, die teils psychisch am Rand sind, vom Dach zu springen drohen und Todesangst haben, aus Deutschland abgeschoben zu werden – die AG Konfliktmanagement einer Kreuzberger Gesamtschule hätte den Fall zwar sicher auch nicht gelöst. Aber klüger gehandhabt.

Während der Proteste um die Ohlauer schlug ein Polizist einen jungen Mann mit Clownsnase nieder, weil dieser sich geweigert hatte, seinen Ausweis zu zeigen. Die Polizei rechtfertigte den Fall später damit, der Mann habe sie vorher behindert. Die zugehörige Pressemitteilung ist verschwunden. Vielleicht folgte der selbstgerechten Aggression ein Moment der Scham.

Vorfälle wie diese nähren die Auffassung, die Polizei sei ein Haufen hirnloser Schläger und selbst Teil einer Meute, vor der sie eigentlich schützen sollten. Schergen eines faschistischen Staates, und damit zu Recht selbst Ziel von Gewalt: Gestern schmissen Vermummte Pflastersteine auf ein Polizeiauto am Görlitzer Park. Der Bericht vermutet Linksautonome.

Mut statt Einschüchterung!

TONIC-Autor Vinz Greiner schreibt in seinem Blog, linke Demonstranten würden mit solchen Taten ihren eigenen Humanismus ad absurdum führen, indem sie hinter Polizisten keine Menschen sehen, die auch mal durchdrehen. Da hat Vinz Recht. Andererseits: Warum tut die Polizei selbst so, als sei sie ein Maschinenbataillon mit Fernsteuerung, in wechselnden Formationen und Robocop-Montur mit mehrstelligen Nummern am Revers? „Professionalität“ beruht bei der Polizei auf der Leugnung der emotionalen Menschlichkeit, auf einer schlechten Choreographie sogenannter Rationalität. Mit der begründen Kriminalämter ihre „Erfolge“ – wenn einer aber haltlos knüppelt, waren es, hoppla, die schwachen Nerven?

Es stimmt: Polizisten haben Angst, wie auch Protestler oder Flüchtlinge. Viele Beamte sind sich wahrscheinlich darüber bewusst, dass sie oft da herhalten müssen, wo politische Lösungsvorschläge – soweit es sie gibt – an die Wand fahren. Aktuell am offensichtlichsten wird das am Umgang mit Flüchtlingen. „Deeskalation“ kann aber nicht bedeuten, die eigene Angst mit Gegenangst, also Einschüchterung zu kompensieren. Gegen Angst hilft Mut. Vielen Polizisten fehlt der offenbar an der richtigen Stelle, nicht nur während Demos und Besetzungen: In den Spätis der Berliner Karl-Marx-Straße treiben Mafiosi ganz offen ihre Schutzgelder ein. Freilich aber ist es bequemer, Fahrradfahrer ohne Licht mit Bußgeld zu traktieren.

Immer am Abzug

Statt Mut wachsen Distanz und präventives Machtgehabe. Angehende Polizisten bekommen heute beigebracht, bei Routinekontrollen im Straßenverkehr präventiv die Knarre zu ziehen. „Was beim Friseur der Kamm ist, ist bei uns die Waffe.“ Reine Vorsichtsmaßnahme, doch: Tatsächlich schießen Polizisten heute doppelt so häufig wie vor zehn Jahren.

Im bayerischen Burghausen, nahe meinem ehemaligen Schulort, tötete ein LKA-Beamter vor Kurzem einen vorbestraften Hasch-Dealer. Ersterer schoss aus nächster Nähe versehentlich in den Kopf statt ins Bein, Letzterer war unbewaffnet. Ob mein alter Freund Max schon schießen darf oder linken Demonstranten Disziplin beibringt, weiß ich nicht. Wir haben keinen Kontakt mehr.

* Name von der Redaktion geändert.


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