„Ich nehme sie ja gleich"
2. Juli 2014
Von Juliane Goetzke
Die Pille danach gibt es derzeit nur auf Rezept. Jedenfalls in Deutschland. In den meisten europäischen Ländern kann man die Pille danach ohne Rezept in Apotheken kaufen. Am heutigen 2. Juli befasst sich der zuständige Ausschuss des Bundestages mit dem Thema. Drei Frauen* erzählen ihre Erfahrungen.
Lisa, Deutschland
Der Tag, an dem ich zum ersten Mal beschließe, die Pille danach zu nehmen, ist ein Montag. Es ist halb sieben am Abend. Wo bekomme ich um diese Uhrzeit in Hamburg noch ein Rezept? Ich suche im Internet, finde aber nur Berichte von Frauen, die vergeblich versucht haben, eins zu kriegen. Der ärztliche Notdienst kann mir auch keine Adresse nennen.
Schließlich wähle ich die Nummer vom Klinikum Altona.
„Warum warten Sie nicht einfach bis morgen?“, fragt die Krankenpflegerin am anderen Ende der Leitung.
„Bis dahin habe ich keine Zeit mehr.“
„Wann war denn der ungeschützte Sex?“
Es war kein ungeschützter Sex, sondern ein abgerutschtes Kondom. Ich spare mir den Kommentar und sage:
„In der Nacht von Samstag auf Sonntag.“
„Warum melden Sie sich dann erst jetzt?“
„Das ist kompliziert. Aber es ändert nichts daran, dass ich heute Abend ein Rezept brauche.“
Die Pflegerin zögert. Schließlich sagt sie: „Sie können ja mal vorbeikommen, aber ob Sie eins kriegen, weiß ich nicht.“
Auf der gynäkologischen Station irre ich durch grüne Flure. Hinter einer der Türen schreit eine Frau. Die Pflegerinnen zwingen mich, einen Schwangerschaftstest zu machen und dafür zehn Euro extra zu bezahlen. Ich warte über eine Stunde, bis der Stationsarzt Zeit für mich hat.
„Zunächst mal möchte ich wissen, warum Sie meiner Kollegin am Telefon so eine patzige Antwort gegeben haben“, sagt er. „Die Frage, warum Sie jetzt erst kommen, war doch sehr berechtigt.“
Ich hole tief Luft und antworte so höflich ich kann: „Ich sehe nicht, was das mit der Situation zu tun hat.“
„Wissen Sie, ich muss Ihnen dieses Rezept nicht ausstellen. Eigentlich ist das nicht meine Zuständigkeit.“ Er wartet. Ich balle meine Faust in der Tasche und schweige.
„Ich mache es trotzdem“, sagt er schließlich. Er nimmt einen Block, schreibt ein Medikament auf und stempelt. Er informiert mich über nichts, fragt keine Kontraindikationen ab. Immerhin ist er so gnädig, mir die Adresse der nächsten Notfallapotheke zu verraten. Sie hat nur noch bis 22.00 Uhr auf und ist mit dem Fahrrad eine halbe Stunde entfernt. Ich rase, um rechtzeitig anzukommen.
Seit diesem Abend habe ich noch zwei Mal die Pille danach genommen. Beide Male war es umständlich und demütigend. Dann habe ich mir in Belgien zwei Packungen auf Vorrat gekauft. Egal, was im deutschen Gesetz steht: Ich werde diese Prozedur kein weiteres Mal über mich ergehen lassen.
*Durch das Sternchen hinter den Worten „Frau” soll gezeigt werden, dass es sich bei der geschlechtlichen Kategorie um eine soziale Konstruktion handelt und nicht um eine unveränderliche „biologische” Wahrheit. Alle Menschen, die sich als Frauen* fühlen und bezeichnen möchten, sind hiermit gemeint.
Illustration: Rie Pfeiffer/TONIC
VincentAm 5. Juli 2014
Ein echt guter Artikel, die Geschichten sind mitreißend - bitte mehr von so etwas! Ich hätte mir lediglich noch ein wenig mehr Information zur Einleitung gewünscht, das ist arg kurz geraten.
Ach, und die Illustrationen sind super!
LarsAm 15. März 2015
Also, auch wenn ich eure Bestrebungen, weitreichend zu gendern, respektiere - so ganz einleuchten will mir nicht, weshalb ihr in diesem Kontext die "soziale Konstruktion" besonders betont. Soweit ich das verstanden habe, waren doch alle Befragten auch biologisch Frauen?
Es erscheint mir von vornherein unlogisch, jemandem, der sich als Frau* fühlt, aber biologisch keine ist, die Pille danach zu verschreiben. Übersehe ich da was oder wart ihr da vielleicht ein Stückchen übereifrig?
JulianeAm 8. Juli 2015
Jein: Ich möchte keiner Person von außen ein Geschlecht zuschreiben. Es gibt Menschen, die nehmen die Pille und bezeichnen sich nicht als Frauen*, es gibt Menschen, die identifizieren sich als Frauen* und können nicht schwanger werden - nur weil jemand die Pille nehmen möchte, schwanger werden kann, eine Gebärmutter hat, ... ist die Person keine Frau*.
In dem Artikel geht es um drei Menschen, die sich selbst als Frauen bezeichnen UND die die Pille danach genommen haben.