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Für *Steinewerfer

„Vorwärts ist keine Richtung“¹

27. Mai 2014
Von Jule D. Körber

Als Hannes Wittmer alias Spaceman Spiff von seiner Musik leben konnte, dachte er sich „Fuck, was jetzt?“ Mit uns meditiert er über sein drittes Album „Endlich Nichts“, über Würzburg und Hamburg und Sich-selbst-Steine-in-den-Weg-Leger.

Spaceman Spiff beim Konzert in Essen

Spaceman Spiff beim Konzert in Essen

Hannes Wittmer trägt blaue Tape-Pflaster an seinem Arm. „Ich hatte eine Sehnenscheidenentzündung“, sagt er, „nicht vom Gitarre spielen, sondern vom Mails schreiben, um die Tour zu organisieren.“ Eine Sehnenscheidenentzündung ist der Albtraum jedes Musikers, oder? „Ach, ich hatte auch schon Tinnitus, einen Hörsturz und eine Magenschleimhautentzündung vom Stress, meistens kurz vor der Tour.“ Hannes klingt fröhlich dabei. Ob er sich sicher sei, sich für den richtigen Beruf entschieden zu haben? „Ja, da sollte ich drüber nachdenken, oder?“, sagt er und lacht.

Das Gleiche habe ich ihn schon einmal gefragt, bei einem Interview vor über drei Jahren. Damals sagte er, er probiere das jetzt einfach aus und es könnte gut sein, dass er im nächsten Jahr etwas anderes mache. Das war kurz vor seinem zweiten Album Und im Fenster immer noch Wetter. Wir saßen in seiner WG in Hamburg-Altona, drei, vielleicht vier Stunden. Zwischenzeitlich vergaß ich damals, dass das ein Interview war und nicht ein Küchentisch-Gespräch mit jemanden, den ich gerade kennengelernt hatte und der gut darüber sprechen konnte, warum er das aus seinem Leben macht, was er daraus macht.

Kurz nach dem Interview damals an seinem WG-Küchentisch spielte Hannes auf dem Reeperbahn Festival, im Foyer eines kleines Theaters. Sein Publikum saß auf dem Boden, um ihn herum und seinen Mitmusiker Felix Weigt, der wohl jedes Instrument der Welt spielen kann. Die Zuhörer waren so aufmerksam, dass ich das Gefühl hatte, einige vergaßen zu Atmen. Wie bei Kindern, denen vorgelesen wird, in dem Moment, in dem der Held des Kinderbuches hadert und sich dann doch entscheidet alles zu retten.
Spaceman Spiff scheint Blasen um Räume zu legen, die die Außenwelt für eine Zeit ausschließen. Und die einen nach der letzten Zugabe aus diesen Raum entlassen, so, als wäre man gerade aufgewacht.
In diesem Theater auf dem Reeperbahn Festival wollte ich dem Barkeeper etwas gegen den Kopf werfen, weil er mit Gläsern klirrte, und das Klirren drohte, die Blase zum Platzen zu bringen.

In den Jahren seither haben sich deutschsprachige Singer-Songwriter, die vorher allein aufgetreten sind, zu Bands mit erzählenden Namen zusammengetan.
In den Jahren seither haben sich Bands mit erzählenden Namen aufgelöst und die einzelnen Bandmitglieder haben Solokarrieren gestartet.
In den Jahren seither sind zwei der wichtigsten deutschen Songschreiber zu jung gestorben.
In den Jahren seither haben manche Masken aufgesetzt, andere Masken abgenommen.

Heute, hier auf der Zeche Carl, schepperten bis vor ein paar Minuten die metallenen Türen zwischen den alten Backsteinmauern vom Soundcheck.
Es ist die Tour zu seinem dritten Album Endlich Nichts, auf dem er und seine Musik noch mehr zusammen zu gehören scheinen als auf den Vorgänger-Alben. Er beschreibt etwas, was viele, wohl auch ihn selbst, umtreibt, und das in so treffenden Worten und Bildern, zwischen diffus und konkret, dass sich sein Publikum stets darin selbst wieder findet.
Spaceman Spiff sei eine Projektsfläche, sagte er mir damals, vor drei Jahren schon, und dass er schon manchmal damit ein wenig zu kämpfen habe, wie sehr ihn das vereinnahmen, konsumieren würde.
Heute will ich wissen, ob er immer noch damit kämpfen würde. Und wie er sich mit dem Album verortet in seiner Generation.

„Ich kann das inzwischen besser trennen. Und ich habe meinen Minderwertigkeitskomplex, den ich als Hannes gegenüber Spaceman Spiff habe, mittlerweile verloren. Inzwischen ist das in Ordnung, dass der Typ, der da auf der Bühne steht, viel interessanter ist als Hannes.“

Diese Bühnenfigur führte dazu, dass er sich vor einigen Jahren entschied, von Hamburg zurück nach Würzburg zu gehen, auch, um wieder etwas mehr Hannes Wittmer und nicht immer Spaceman Spiff zu sein.
Es schien mir nicht allzu lang später – wahrscheinlich war es wohl doch ein Jahr – da sehe ich ihn bei Facebook: Auf dem Foto steht er neben einem Kumpel, mit einem Pappschild „Hamburg“ in der Hand.

„Das war von Anfang an geplant. Ich hab in Würzburg im Dencklerblock gewohnt, zwei große Häuser mit Innenhöfen, wo wir uns zum Beispiel in einem der Dachböden ein Kino gebaut und ab und an im Hof Konzerte veranstaltet haben. Da sind eben ganz viele Studenten, die auch Kultur machen, und da auch Lust drauf haben. Eigentlich ist es eine riesige WG. Da wohnen dementsprechend viele von meinen besten Freunden. Würzburg ist eine klassische Transit-Stadt, wo die Leute zum Studieren hinkommen und sich dann wieder verdrücken. Und es war so dem Zeitpunkt noch so, dass 80 Prozent meiner besten Freunde auf einem Fleck gewohnt haben, und ich dachte mir: Junge, das wird in deinem ganzen Leben nie wieder vorkommen. Da dachte ich mir: Geh ich doch da hin und nutz das aus, ich kann ja arbeiten, wo ich will. Und ich hab eh eine Pause gebraucht, von Hamburg, vom Musikerdasein, was ich ja vor allem mit Hamburg verbunden habe.“

WÜRZBURG HAT SEIN ZWEITES STUDIUM ABGEBROCHEN
KÖLN SEH ICH SO GUT WIE NIE
BERLIN HAT KEINE AHNUNG WO ES HIN WILL
UND HAMBURG IST IN THERAPIE
(...)
LEIPZIG HAT VERSUCHT VON SEINER KUNST ZU LEBEN
ES HAT NICHT WIRKLICH FUNKTIONIERT
UND MÜNCHEN IST VERLIEBT IN BARGTEHEIDE
LEIDER IST DES KOMPLIZIERT²

Ich frage Hannes nach den Figuren aus dem Song Teesatz, ob diese sich wiedererkennen würden. Und ertappe mich dabei, dass ich unreflektiert vom autobiografischen Schreiben ausgehe. Dabei kennt wohl jeder solche „Teesatz-Menschen“ oder ist vielleicht selbst einer.

MEINE FREUNDE FALLEN UM UND AUSEINANDER
SIE TUN SICH SCHWER UND TUN SICH LEID,

heißt es in dem Song. Und es braucht nicht viel um zu verstehen, warum sich seine Zuhörer so abgeholt fühlen von diesem Text.

„Ich hab mich das ja lange nicht so richtig getraut zu sagen, aber Endlich Nichts ist so ein bisschen ein Konzeptalbum. Das habe ich nicht so geplant, das ist aus sich raus so entstanden. Weil das ein Thema war, was mich extrem beschäftigt hat: Entschleunigung. Weil ich so viele Freunde habe, die am Straucheln sind. Und mir geht es nicht wesentlich anders. Teesatz habe ich für meine Freunde geschrieben. Ich habe das aufgenommen und an alle meine Freunde geschickt, bevor ich auf meine Reise gegangen bin, als Abschiedsding. Es geht in dem Song aber gar nicht unbedingt um konkrete Personen oder Orte, sondern eher darum, wie es ist, in Deutschland sozialisiert zu sein. Ich glaube, alle in meiner Generation könnten solche Beispiele nennen.“

DRÜBEN IM PARK
KACKEN VÖGEL AUF DIE BÄNKE
WO SEIT 25 JAHREN
NIEMAND GESESSEN HAT
HIER IN DER STADT
SCHMERZEN ALLEN DIE GELENKE
WEIL MAN DIE BÄNKE IM PARK
VÖLLIG VERGESSEN HAT³

Die Musik von Spaceman Spiff möchte an den Schultern packen und rütteln, sie ruft: Hör auf, dir selbst im Weg zu stehen! Und dieses Rütteln fängt bei der Selbsterkenntnis seiner Song-Protagonisten an, die auch immer an sich selber rütteln.

Muss man immer wo hinwollen?

Muss man immer wo hinwollen?

„Das ist ein riesiges Thema in unserer Generation, denke ich. Du musst etwas erreichen, es lastet auf uns ein riesiger Erwartungsdruck. Dazu kommen diese vielen Auswahlmöglichkeiten – diese Kombination ist das, was viele Leute fertig macht und überfordert.“

ICH WAR IMMER BERGSTEIGER
DOCH DIESES LAND IST SCHEISSE EBEN
BAU ICH EINEN BERG
ODER LERN ICH HIER ZU LEBEN
WAS WEISS ICH DENN SCHON4

„Ich glaube, es gibt das Gefühl, dass sich alle selber ein Bein stellen. An Stellen, wo sie es gar nicht müssten. Die nutzen den von ihrer hiesigen Sozialisierung vorgegebenen Horizont. Ich meine, ich bin nach Hamburg gezogen; davor war immer mein Traum, von der Musik zu leben, sei es von meiner eigenen, sei es von der Musik anderer, von einem Club oder Ähnlichem. Und auf einmal habe ich gemerkt, es kam meine zweite Platte raus und ich hab ein paar Monate Konzerte gespielt, und es kam genug rein, dass ich meine Miete davon zahlen konnte und mir Essen davon kaufen konnte. Und damit kam ich an einen Punkt, wo ich dachte: Shit. Ich hatte das Ziel erreicht. Und da hab gemerkt, dass es mich richtig krass unglücklich gemacht hat. Beziehungsweise: Unglücklich ist der falsche Ausdruck, ich war einfach so: Fuck, was jetzt? Man braucht ja Ziele, auf die man hinarbeiten will. Und genau darüber habe ich dieses Lied geschrieben. Und ich frage mich: Muss das so sein? Ist es nicht auch mal genug, einfach so vor sich hin zu existieren? Ohne irgendwohin zu wollen? Ich frage mich: Liegt das in der Natur des Menschen? Oder ist das künstlich anerzogen, über die Jahre weg? Das ist etwas, was mich sehr beschäftigt hat. Es kann natürlich sein, dass alles, was ich sage, Quatsch ist, und dass alle unglücklich sein werden. Aber ich glaube nicht.“

Im Juni spielt Spaceman Spiff auf dem Traumzeit-Festival in Duisburg. In einer Stadt, die trotz allem mehr sie selbst sein will als alles Andere. Das Festival ist zu Hause im Landschaftspark Nord, einem stillgelegten Industriegelände, das sich erfolgreich aufbäumt gegen sein Schicksal, die Nutzlosigkeit. Spaceman Spiff spielt auf einem Festival, das schon mehrmals fast gescheitert ist und es dennoch immer wieder schafft. Und dann die Menschen in ihren Bann zieht zwischen all dem Altmetall. Wahrscheinlich der perfekte Ort für eine Generation von Menschen, für die manchmal vorwärts keine Richtung ist und die sich ihre Hürden oft gern selbst bauen.

Das Album Endlich Nichts von Spaceman Spiff ist beim mairisch verlag/Grand Hotel van Cleef erschienen.

1: Song vom Album: Endlich nichts – 2013
2: Aus: Teesatz. Vom Album: Endlich nichts – 2013
3: Aus: Nichtgeschwindigkeit. Vom Album: Endlich nichts – 2013
4: Aus: Milchglas. Vom Album: Endlich nichts – 2013


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