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Für *Perspektivwechsler

Nehmt mir alles, aber lasst mich zu meiner Familie

16. Mai 2014
Von Claudia Flach

Heute erhält unsere Autorin Claudia für ihren Report über Khalids* Flucht nach Deutschland den Ersten Preis des Alternativen Medienpreises. Hier lest ihr die Laudatio und die ganze Geschichte aus dem Heft 2-2013.

Alternativer Medienpreis 2014: Erster Preis Print

Laudatio

Die deutsche Flüchtlingspolitik ist eine Schande, wenn nicht Schlimmeres. Das bekommt jeder mit, der die Nachrichten verfolgt. Selten jedoch, dass darüber konsequent aus der Perspektive eines Betroffenen berichtet wird. Sicher, man findet in den Medien immer mal wieder dieses oder jenes Zitat eines in Deutschland lebenden Asylbewerbers, meist als schmückendes Beiwerk in einer Reportage.

Claudia Flach geht in ihrem Beitrag „Nehmt mir alles, aber lasst mich zu meiner Familie“ anders vor. Sie lässt einen jungen Mann selbst zu Wort kommen. Khalid, so der geänderte Name des Betroffenen, erzählt seine Reise nach Deutschland, aber erst ab der zweiten Station, die Nennung des Herkunftslandes würde ihn gefährden.

Khalid erzählt von den Demütigungen der Reise, er erzählt, wie immer wieder jemand vom Elend der Flüchtenden profitiert, wie er sich schließlich doch nach Deutschland durchschlägt. Sein Status in unserem Land ist jetzt: „Duldung – Aussetzung der Abschiebung“. Der Rest seiner Familie hat in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft oder zumindest eine Aufenthaltsgenehmigung. Seine Geschichte kann Khalid nur anonym erzählen, alles andere würde die sofortige Abschiebung bedeuten. Das deutsche Ausländerrecht will es so.

An Claudia Flachs Artikel möchte ich nicht nur den konsequenten Perspektivenwechsel im Vergleich zur üblichen Berichterstattung würdigen. Der Wert des Textes steckt auch in der Rechercheleistung: Eine Biografie wie die Khalids muss zunächst einmal in Erfahrung gebracht werden. Sprachlich setzt die Autorin das Gehörte behutsam um, nah an der gesprochenen Sprache, aber doch sehr lesbar. Gefallen hat der Jury auch das Layout des Textes: Ein weißer Schattenriß auf den Fotos, wo doch eine wirkliche Person stehen sollte.

Erschienen ist die Geschichte in TONIC, einer Zeitschrift, die sich selbst so beschreibt: TONIC ist eine ehrenamtliche Machenschaft von jungen Reportern, Fotografen und Künstlern. Wir fabrizieren das hier lohn- und selbstlos und wir verhuren uns nicht vor der Werbeindustrie.“ Neben Claudia Flachs Text wurde ein weiterer Artikel aus TONIC für den Alternativen Medienpreis nominiert, die Autorin Fabienne Kinzelmann ist heute auch hier. Fragen zum Magazin können den beiden Autorinnen sicher gerne im Anschluss an die Veranstaltung gestellt werden.

Aber zunächst einmal freue ich mich, Claudia Flach zum Alternativen Medienpreis gratulieren zu dürfen!

Irene Stuiber

Nehmt mir alles, aber lasst mich zu meiner Familie

Reportage aus Ausgabe 2-2013

2004 kam Khalid* nach Deutschland, illegal. Den Weg dorthin hat er bewältigt, doch sein Ziel noch nicht erreicht: Noch immer läuft das Asylverfahren. Wüssten die Behörden von der Geschichte, die er hier erzählt, er müsste Deutschland sofort verlassen.

* Name geändert. Weil auch Khalids Herkunft geheim bleiben muss, erzählt er seinen Reisebericht erst ab der zweiten Station: Jordanien.

Ich glaube, meine Reise hat 64 Tage gedauert. Ich bin von Jordanien nach Syrien in einem Auto, von dort geflogen nach Sotschi, an der Grenze zu Russland. Das war richtig schön da, wie im Paradies ist es dort. Im Flughafen hatten die schon was gemerkt, obwohl ich bis Moskau ein Visum hatte. Schon die haben angefangen uns abzuzocken. Zwei-, dreihundert Dollar, damit die uns durchlassen. Dann sind wir wieder mit dem Auto gefahren und dann nach Moskau geflogen. Von Moskau in die Ukraine, über die Slowakei und Wien nach Deutschland. Aber ab Russland bis Deutschland nur zu Fuß und im Auto.

Nur, das war nicht so professionell, wie es immer behauptet wird. Ihr zahlt Geld, ihr kommt sicher dahin. Das ist alles gelogen. Die haben uns auf der Autobahn rausgeschmissen, fünf Kilometer vor jeder Grenze. Rennt ihr schön, dann war’s das. Wir rennen und wir sehen Polizisten an der Grenze, mit Waffen. Die schießen natürlich nicht, aber stopp stopp, auf den Boden legen, es war richtig dunkel, es waren auch Frauen in unserer Gruppe… Die Polizisten haben diese Wärmebildkameras. Wir waren solche Idioten! Wieder in irgendeinen Jeep, sieben, acht Leute so richtig aufeinander, Knast, paar Tage. Die lassen uns wieder raus und bringen uns ins geschlossene Asylheim.

Wir versuchen eine Woche später das Gleiche und wieder zurück, bis es, glaub ich, beim vierten Mal erst geklappt hat. In der Ukraine sind wir in so einen Keller gekommen, einen Schweinestall, genau an dem Tag bin ich 19 geworden. Es hat gestunken, kaputte Bierflaschen lagen rum, da mussten wir schlafen. Eine Schwangere war in unserer Gruppe, mit ihrem Mann, aber der konnte sie ja nicht die ganze Zeit tragen. Es gab kein Wasser, nichts zu essen. Wir haben Schnee vom Boden gegessen.

An der Grenze zwischen Ukraine und Slowakei haben uns Kinder in einem Dorf gesehen, die sind alle sofort weggerannt. Wir waren von oben bis unten mit Dreck bespritzt, wir sahen so richtig wie Zombies aus! Dabei war schönes Wetter, sonnig, aber kalt.

Windeln, Mäuse, kaputte Toiletten

Natürlich kam gleich darauf wieder die Polizei und hat uns eingesackt. Im Knast kam so ein Offizier: Wollt ihr ein Handy haben? Und wir so: ja! Dann können wir mit unseren Familien telefonieren! Und der so: Okay, eine Minute kostet fünf Dollar. Wann war das, 2004, eine Minute fünf Dollar! Oder das ganze Handy mit SIM-Karte 100 Dollar. Das war eins der ersten Nokias, die es gab. Was sollten wir machen?

Und das Essen erst. Sie sagen, es sei Suppe. Es war nur rotes Wasser. Wenn wir fertig waren, gaben sie denselben Topf an die Polizeihunde. Die haben daraus gefressen, das ausgeleckt. Wir sehen das. Die waschen das zwar aus, aber beim nächsten Mal bekommen wir wieder denselben Topf. Das war richtig heftig. Und im Knast haben die uns jeden Tag um 19 Uhr so eine Scheibe dunkles Brot gegeben. Wenn du die gegens Licht gehalten hast, siehst du es ein bisschen glänzen. „Mit Butter“ sollte das sein. Der Schwangeren haben sie mal eine Tüte Kekse gegeben. Schreiende Kinder, Windeln überall auf dem Boden, Mäuse, kaputte Toiletten… Die wollten, dass wir uns dort um Asyl bewerben. Die haben uns auch einen Sprachkurs gegeben. Bleibt bei uns, arbeitet bei uns. Weil dort alle nach Europa gehen.

Wir waren zu acht unterwegs. Die schwangere Frau mit ihrem Mann und noch drei Jungs, die waren Kurden aus Syrien. Das Mädchen war Irakerin und ein Kumpel von mir auch, aber Christ. Ich dachte zwischendurch, dass ich meine Eltern vielleicht erst nach ein paar Jahren wiedersehe. Oder vielleicht gar nicht mehr. Das hat mich von innen so gefressen. Das hat mich von innen richtig getötet. Weil ich solche Zustände wie dort noch nie gesehen hatte. Bis ich 19 war, hatte ich noch nie in meinem Leben gearbeitet! Zuhause waren wir so reich, Autos, Häuser, mein Opa war ein wichtiger General. Immer Schule, studieren, und erst dann musst du arbeiten. Ich wünsche jedem meine Kindheit. Wenn der Vater ein gutes Einkommen hat, reicht das für die ganze Familie. Wasser und Strom und Sprit zum Beispiel, das ist wie, keine Ahnung, so billig wie Essen. Oder noch billiger. Bei uns sagt keiner „Ich geh tanken für zehn Euro“, bei uns gibt’s nur volltanken. Und wenn beide Eltern arbeiten, vergiss es, dann leben die Kinder richtig gut.

Duldung – in Deutschland das schlimmste

Dann ging es weiter nach Wien, da hat mein Vater mich dann aus dem Asylheim abgeholt und wir sind mit dem Auto nach Deutschland gefahren. Noch ein Jahr danach lag ich manchmal nachts im Bett und dachte: Oh mein Gott, du bist wirklich hier, du bist wirklich gut angekommen. Das war im Herbst 2004. Alle in meiner Familie haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft oder eine Aufenthaltsgenehmigung. Und ich hab gar nix. Ich hab „Duldung – Aussetzung der Abschiebung“. Das ist eigentlich das Schlimmste, das man kriegen kann, hier in Deutschland. Noch dazu ist in meinem Bundesland Residenzpflicht. Ich kann nicht mal Freunde in anderen Teilen Deutschlands besuchen.

Meine Eltern haben mir damals ein paar Tage lang beigebracht, was ich sagen soll, bei der Ausländerbehörde. Hat aber alles nichts genutzt. Wahrscheinlich haben hunderttausend Leute genau das Gleiche gesagt: Ich bin mit dem LKW in die Türkei, und als ich die Augen wieder aufgemacht habe, war ich in Deutschland. Wir haben keine Schilder gesehen, ich weiß nicht, durch welche Länder wir gefahren sind. Damit würde man sofort Aufenthalt kriegen. Wenn ich denen erzähle, was ich wirklich erlebt habe, die 64 Tage, da würde der Richter weinen. Aber das Problem ist, ich kann das nicht sagen. Ich müsste sofort zurück in das erste EU-Land, das ich betreten habe. In irgendeinen Wald in irgendeinem Land haben wir unsere Pässe vergraben, vor allem das Bild ganz klein zerrissen.

Alle sechs Monate muss meine Duldung erneuert werden, da machen die so einen Aufkleber auf meinen Ausweis. Angenommen, ich würde eine Straftat begehen, die könnten meinen Ausweis quasi zerreißen und mich abschieben. Ich hab denen bei der Behörde gesagt, ich möchte die Aufenthaltsgenehmigung so schnell wie möglich haben, damit ich meine Verwandten sehen kann. Ich darf ja nicht fliegen. Ich hab die seit über zehn Jahren nicht gesehen. Wenn da ein Kind geboren wurde, dann ist das schon ein Junge jetzt. Meine Oma heult immer am Telefon, aber was soll ich machen. Die werden nicht jünger, das ist ja das Problem.

Opa, Oma, Onkel, seine Frau, die Verwandten meiner Mama, die lieb ich alle, mit denen bin ich aufgewachsen. Die kommen aus Libyen, aus Dubai, aus Australien, die treffen sich alle in einem Land wie der Türkei, in der Mitte. Früher sind sie immer nach Syrien geflogen, aber das geht leider nicht mehr. Zwanzig Leute mieten sich ein Haus zusammen. Einmal, als ich alleine hier war, hab ich nur Videos gesehen und ich bin durchgedreht. Mein kleiner Cousin hat ein Video aufgenommen. Hey Khalid, du bist nicht da, ätschebätsch. Ich hab schon vor Jahren zur Ausländerbehörde gesagt: Nehmt mir alles, nehmt mir meine Papiere, nehmt Geld, aber lasst mich zu meiner Familie. Die Antwort war: Wir wissen, dass es weh tut, aber es geht leider nicht.


Kommentare

Der AbgeschobenenAm 7. September 2014

der Holocaust der Seele nach der ABSCHIEBUNG, in Angst zu leben vor dem Ausweisungs, leben in Schrecken vor der Abschiebung, Nach der ABSCHIEBUNG ist es, in Scham UND SCHANDE zu leben , leiden die Übel der Ausweisungs, ich bin aus Deutschland seit jahren abgeschoben und ich bin immer noch nicht davon verheilt, hätten sie mich gefragt damals , den tod oder die Abschiebung hätte ich den tod bevorzugt, man hat von mir eine tochter genommen und einfach weg geschmiessen, nach vielen jahren aufenthalt in Deutschland auf diese ART UND WEISE ABGESCHOBEN ZU SEIN, ich bin kein krimineller gewesen , habe nicht aus sozial hilfe gelebt, der trauma besteht und qwält mich immer noch, ich kann nicht mehr schlaffen seit jahren, Ich litt blutigen Kriegen in meinem Kopf, meine Seele ist zerrissen, ich will darüber schreiben aber es ist zu viel ,meine Erinnerungen und worten sind in dem Labyrinth des Leidens gefangen,...Ich würde auch noch den Deutschen eine weitere Weltmeisterschaft geben, (Weltmeisterschaft der menschlichen Folter)...mein Schicksal führte mich nach Deutschland....Ich habe Respekt vor den Nazis und Rassisten die sich nicht verstecken, aber das Praxisgesetz in Deutschland ist von rassistischen und Nazis gesteuert,leute die hinter Uniformen verstecken, Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, jügendämte betreuer , journalisten ,regierungspräsidiums und so weiter(akademischen Klasse) so funktioniert es, so hören auf über Terrorismus zu jammern , Abschiebung ist der schlimmste Schrecken,es ist Horror in Person, Abschiebung hat ein Gesicht, es ist nicht abstrakt ...Der Abgeschobenen