TONIC ist umgezogen! Hier gehts zur neuen Seite.
Für *Zwinkerer

Angriff der Google-Bienen

10. Mai 2014
Von Timo Steppat

Ein Service, der deinen Müll aufsammelt und weiß, wann du umarmt werden möchtest. Mit dem Fake-Google-Service Google Nest wird das Netz wieder ein sicherer Ort, verkünden Aktivisten auf der Internet-Konferenz re:publica. Gute Satire, die vielleicht bald Realität wird?

Sie kommen!

Sie kommen!

Es ist eine Vision: Ein Gerät, das auf uns aufpasst, das uns und unsere Familien beschützt und Alarm schlägt, wenn etwas passiert. Der Prototyp schwebt in den großen Saal der re:publica, Applaus brandet auf. Der Google-Manager auf der Bühne lenkt die Drohne, genannt Google-Biene („Google Bee“), mit einigen Bewegungen zu sich. Die Google-Biene kann zum Konzert fliegen, das wir aus Zeitgründen nicht besuchen können, erzählt der Manager, und die kleine Kamera sendet einen Livestream zum Nutzer. Sie ist quasi die Vertretung im echten Leben. Und die Drohne, darüber freut er sich besonders, kann auch den Müll rausbringen.

„Im Moment hat die Drohne eine ziemlich schlechte Presse“, sagt Gloria Spindle. Zusammen mit Paul von Ribbeck präsentiert sie „Google Nest“, insgesamt vier neue Features des Suchmaschinenkonzerns, die unser Zuhause sicherer machen sollen. Dazu zählt auch „Google Trust“, ein Dienst, der vor Hacking-Angriffen schützt und „Google Hug“, das aufgrund von Nutzerdaten Umarmungen vermittelt.

Das alles ist Satire, das merken die Zuschauer schnell. Die Produktpräsentation wird mit Sätzen begleitet wie „Das Internet gehört uns“ oder „wir wollen nur eure Daten“. Hinter dem Hoax steckt das Künstler-Kollektiv Peng. Sein kleines Theaterstück handelt von einem menschenfreundlichen Konzern, der mit immer neuen Ideen unser Leben verbessern will. Die Sprache der beiden angeblichen Manager ist vom Technikglauben des Silicon Valley durchtränkt.

Dem Staat darf man nicht vertrauen, aber dem Konzern sehr wohl.

Die neuen Features hätten zumindest zum Teil in das Konzept von Google gepasst. Anfang der Woche präsentierte der Konzern den digitalen Assistenten „Now“. Er ermöglicht, Termine und Bahnverbindungen offline zu überprüfen, er weiß automatisch, wo das eigene Auto geparkt ist und lotst den Nutzer dorthin zurück. Auf dem Weg durch Innenstädte gibt Now auch Bescheid, wenn ein Geschäft für den Nutzer interessant sein könnte. Die Kaufempfehlungen, mit denen das Unternehmen im Netz bisher sein Geld verdient, kommen ins echte Leben. Denn wenn ein Geschäft durch Google Kunden gewinnt, zahlt es dafür.

Wie im Internet basieren die Hinweise auf den vielen Suchenanfragen, die bei Google eingehen. Eine neue Luftmatratze, ein Geschenk für Oma, Regenjacke, Gaskocher. Wahrscheinlich steht bald ein Camping-Trip an und eben auch der Geburtstag einer älteren Dame. Verdichtet werden die Informationen durch die vielen anderen Dienste wie Gmail, Maps oder den Cloud-Anbieter Drive. Das Geschäftsmodell wird immer weitergedacht und erweitert. Vor wenigen Monaten kaufte der US-Konzern Nest, ein deutsches Unternehmen, das intelligente Haushaltsgeräte entwickelt. Dass der Kühlschrank weiß, was neu gekauft werden muss und es vielleicht sogar gleich bestellt, ist keine Zukunftsvision mehr. Im Angebot hat Google schon heute Feuermelder. Mit der Suchmaschine der Anfangszeit hat das nichts mehr zu tun, aber es hilft dabei, Daten zu sammeln.

Technisch innovativ ist die Drohne, die im Google-Hoax bei der Republica vorgestellt wird, nicht. Die Fake-Managerin Gloria Spindle, die eigentlich Faith Bosworth heißt, sagt später: „Die Drohne ist das realistischste Produkt.“ Wundern würde es sie nicht, wenn Google ein solches Gerät bald verkaufen würde. „Aber die haben weit größere Ideen, für die uns die Fantasie fehlt“, sagt Bosworth.

Google-Chef Eric Schmidt hat vor zwei Monaten auf einer Entwicklerkonferenz in den USA einen Vortrag darüber gehalten, wie das Internet seine Nutzer verändert. Er sprach über den Verlust der Privatsphäre und Überwachung durch Geheimdienste. Und Schmidt echauffierte sich: Rechenzentren von Google würden von Geheimdiensten angegriffen, Kabel angezapft. Mit seiner Anklage war ein Appell verbunden: Keine Sorge, wir kriegen das hin, eure Daten sind bei uns sicher. Längst würden die Daten stärker verschlüsselt, so Schmidt, und die Gesetze – zumindest in den USA – verschärft.

Dem Staat, so die Logik des IT-Konzerns, darf man nicht vertrauen, aber dem Konzern sehr wohl. Google will eben dein bester Freund sein. Das Misstrauen gegenüber staatlichen Stellen ist sehr amerikanisch. Und so wie sich das Internet vom US-Phänomen auf die Welt ausgebreitet hat, ging damit auch eine bestimmt Ideologie einher, der Glaube, dass Unternehmen zwar wirtschaftliche Interessen verfolgen, aber erstmal Gutes beabsichtigen. Natürlich gibt es Widerstände, zum Beispiel gegen Google Glass. Eric Schmidt wischt die Einwände mit ein paar Sätzen vom Tisch. In Großbritannien etwa würde im öffentlichen Raum jeder permanent überwacht. Macht es einen Unterschied, ob die Datenbrille Bilder, Videos und Daten von Nutzern und Fremden sammelt?

Fünf Minuten bevor auf der Republica die Fake-Präsentation von „Nest“ beginnt, meldet sich Google zu Wort. „Zur Klarstellung“, schreibt die Pressestelle via Twitter, „die Aktion #googlenest auf #rp14 ist eine Satire und die dazugehörige Website ein Fake und stammt nicht von uns.“

Auf Anfragen reagiert die Pressestelle nicht. Sie will die Satire nicht noch befeuern. Aktionskünstlerin Faith Bothworth ist auch am Tag nach dem Auftritt bei der Republica mit Interviews beschäftigt. „Das Dementi von Google hat uns geholfen“, sagt sie. 120 Mal wurde das Statement der Konzern-Pressestelle geteilt, immer mit dem Hashtag „googlenest“

Im Netz herrscht einige Stunden lang Verwirrung. Könnte es nicht wirklich sein, dass Google sein nächstes großes Ding bei einer Bloggerparty vorstellt? Manche fühlen sich geschmeichelt: Google, der größte und wichtigste Internet-Konzern der Welt kommt nach Berlin-Kreuzberg, zu den Nerds, um die neue Strategie vorzustellen.

Per Twitter fragten später einige Nutzer, die nicht anwesend waren, ob es sich nun um Fake oder eine echte Google-Neuheit handelt. Zumindest hätte das Theaterstück gut zum Plan des Suchmaschinenkonzerns gepasst, zukünftig auch Haushaltsgeräte anzubieten. Die Vorstellung einer Drohne, die uns vertritt und beschützt, kann auch eine positive Wirkung ausstrahlen. Sie befriedigt den Wunsch nach Sicherheit. Gleichzeitig würde die Google-Biene, wie so viele Ideen der schönen neuen Technik-Welt, ein Ende der Privatsphäre markieren. Fake-Google-Mitarbeiterin Gloria Spindle sagt: „Wir können nicht versprechen, dass alle Daten von Ihnen beschützt werden, aber wir beschützen Sie.“ Ein Satz, der auch vom echten Google stammen könnte.


Kommentare

Noch keine Kommentare vorhanden.