Auf den Schreck erst mal eine Zigarette
13. Oktober 2013
Von Thiemo Bräutigam
Claudia findet: je mehr Ekelbilder auf Zigarettenpackungen, desto besser. Rauchen bereichert die Tabakindustrie und ist unvernünftig. Thiemo weiß das, raucht trotzdem und empört sich über die herabblickende Attitüde der Nichtraucherfraktion. Bilder von verkohlten Lungen als Ergänzung zu den dystopischen Abschreckungsformeln in schwarz-weiß? Eine Streitschrift.
Bild: Angelina Behnke

Innerhalb der Generation Y sind wir Raucher eine Minderheit geworden. Sozusagen noch immer Anhänger der Generation Maybe, obwohl die Kampagne von Philip Morris ja verboten wurde. Wir werden von öffentlichen Plätzen und aus Kneipen verbannt oder müssen uns im Winter vor der Tür den Arsch abfrieren. Am Bahnhof müssen wir ganz ans Ende des Gleises; gelbe Markierungen halten uns dicht gedrängt wie Legehennen zusammen – das ist okay.
Ich mache einen riesigen Bogen um Kinder, wenn ich mir eine Zigarette anzünde. Mir läuft es kalt den Rücken herunter, wenn ich gewordene Eltern sehe, die mit der einen Hand den Kinderwagen schieben und mit der anderen die Kippe jonglieren. Ich bin bemüht, die abgebrannten Überreste nicht in die Natur zu werfen. Ich frage höflich, ob es jemanden stört, wenn ich nach dem Essen eine rauche – auch auf der Terrasse oder im Außenbereich eines Restaurants. Ich habe mich damit abgefunden, einer geringgeschätzten Minderheit anzugehören.
Ich weiß, was ich konsumiere. Ihr müsst es mir nicht immer wieder sagen.
Aber ich kann es absolut nicht ausstehen, mir von irgendwelchen Sofa-Revoluzzern meine Vernunft absprechen zu lassen. Nicht, weil der Vorwurf der Unvernunft trotz besserem Wissen nicht stimmen würde, sondern weil es so unglaublich arrogant ist, auf „den Rauchern“ herumzuhacken. Wie wäre es denn mal mit Schockbildern für Alkohol? Oder XXL-Warnhinweisen auf Autos? Schnaps verblödet und macht sie zu einem unbeherrschten Monster. Oder: Autofahren führt zu Bluthochdruck und kann tödlich sein.
Klar können Raucher nerven und wer seinem Kind den Qualm ins Gesicht bläst, der gefährdet nicht nur die Gesundheit anderer, sondern verstößt auch gegen die Fürsorgepflicht. Das hier ist bestimmt kein #Aufschrei, kein Plädoyer für die individuelle Freiheit einer Sucht. Rauchen ist nicht cool. Hört auf oder fangt erst gar nicht an. Ich weiß, wovon ich spreche.
Hier soll es vielmehr um die blödsinnige Vorstellung gehen, dass Raucher nicht wüssten, was sie tun und es ihnen deshalb immer wieder gesagt werden müsste. Wie viel Dreck konsumieren wir tagein-tagaus? Gespritztes Gemüse, mit Antibiotika vollgepumptes Fleisch und Cola-Pommes-Burger.
Ich sehe euch doch ständig. Mit euren Starbucks-Coffee-To-Go-Bechern schlendert ihr von H&M zu Zara und kauft euch Röhrenjeans. „Ja und?“ fragt ihr euch jetzt. Seid ihr euch denn darüber im Klaren, was ihr euch da an- und reinzieht? Ich schon. Ich weiß, dass die wenigsten Raucher die Vitalität eines Helmut Schmidt besitzen.
Mein erstes Kind bedeutet meine letzte Zigarette
Ich weiß, was das Rauchen anrichtet, auch ohne Bilder und Warnhinweise. Ich werde es trotzdem weiter tun. Gefühlt freiwillig – in Wahrheit gesteuert. Das ist mir bewusst. Und statt „same procedure as every year“ an Neujahr einen guten Vorsatz zu brechen, habe ich mir folgende – buchstäbliche – Deadline gesetzt: Mein erstes Kind bedeutet meine letzte Zigarette. Das verstehe ich darunter, Verantwortung zu übernehmen. Ob ich das so strikt und von heute auf morgen schaffe, sei dahingestellt, denn ja: Ich bin süchtig.
Aber anstatt gleich mit der Moralkeule der vernunftsmäßig Überlegenen zu schwingen, fangt doch bitte auch vor der eigenen Tür mit einem Besen an. Oder schlürft von mir aus weiter genüsslich die genmanipulierte Sojalatte der Sklaventreiber und Tropenkiller. Jeder hat ja sein Laster, nicht wahr?
Und falls es in der Kleidungsboutique eures Vertrauens mal nach Aschenbecher stinkt, dann ist das vielleicht gar kein Raucher, sondern das Kleidchen, das ihr grade in der Hand habt. Fair enough, hm? Wisst ihr, was der Unterschied ist? Wenn ich eine Packung Tabak kaufe, lese ich „Rauchen gefährdet die Gesundheit“ und denke: Ja, stimmt. Und ist dazu noch verdammt teuer. Aber es ist meine Gesundheit alleine. Wenn andere ihre Einkäufe in den nächsten Chai-Latte-to-go-Laden tragt, steht es nur im Kleingedruckten: Made in Bangladesch. Wir bauen alle Mist. Nicht nur Raucher stinken.
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