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Für *Lehrerkinder

Das Nichts in Berlin

24. August 2013
Von Meltem Toprak

Alle waren sich einmal einig: Das Publikum, die Feuilletonredaktionen und die Filmpreisjuroren feierten Anfang des Jahres einstimmig eine Kinokomödie: Oh Boy. Von der Kritik als Generationsfilm gefeiert, erzählt der Streifen die Geschichte des 28-Jährigen Nico Fischer und seines Berliner 0815-Lebens. Mit Hauptdarsteller Tom Schilling sprach TONIC-Autorin Meltem Toprak über das im Film erzeugte Berlin-Bild, die antriebslose Hauptfigur und die begeisterte Kritik.

Nico Fischer. Er tut nichts.

Nico Fischer. Er tut nichts.

Wie sieht Dein persönliches Berlin aus?

So wie das in dem Film.

Genau so?

Ja. Ich wohne hier direkt um die Ecke, und viele Orte, die in dem Film vorkommen, haben auch eine Verbindung zu mir. Zum Beispiel das Tacheles. Da habe ich viel Zeit meines Lebens verbracht. Ich hab da früher viel Graffiti gemalt, da war ich so zwischen zwölf und 16.

Ich kenne viele Menschen, die in Berlin unfassbar einsam sind. Liegt es an der Stadt, an der Lebensart, an jedem selbst oder am Wetter?

Nee, also mit dem Wetter hat das nichts zu tun. Aber ich denke, es hat etwas mit dem Phänomen Großstadt zu tun, mit dem Phänomen des beschleunigten Lebens, was weiß ich. Man lenkt sich ab. Es geht früh morgens los, wenn man die Internetnachrichten liest; die Leute gucken ja gar nicht mehr nach links und rechts. Das ist ein Großstadtphänomen, glaube ich. Auf dem Land schauen die Leute anders auf ihre Nachbarn und ihre Mitmenschen.

In meinen Augen ist das ein großes Dilemma. Aber ist es nicht auch ein Lebensstil, den wir selbst wählen, der uns gefällt?

Ich glaube nicht, dass er uns gefällt. Aber er liegt in unserem Wesen. Vielleicht ist diese Art auch ein bisschen deutsch. Ich glaube, es ist immer schöner, wenn man Kontakt zu Menschen hat. Aber man kennt das ja: Du ziehst irgendwo hin und wenn du zwei, drei Jahre später wieder auszieht, stellst du fest, dass du keinen einzigen Nachbarn kennengelernt hast. Dabei hätte man einfach "Hallo" sagen und ins Gespräch kommen können, aber das passiert halt selten. Weil man vielleicht zu scheu ist oder Angst vor Zurückweisungen hat, oder es blöd aufgenommen wird oder so.

Golfen ist langfristig auch keine Option.

Golfen ist langfristig auch keine Option.

Der Protagonist im Film lebt ein Leben ohne Perspektive. Er weiß kaum etwas mit sich anzufangen.

Ja.

Ging es Dir auch jemals so? Du schauspielerst ja schon seit einem sehr jungen Alter.

So eine Phase hatte ich nie. Ich habe mit zwölf Jahren angefangen, Theater zu spielen am Berliner Ensemble, was in Berlin ein großes Staatstheater ist. Damals musste ich schon viel Verantwortung tragen. Und war quasi im Beruf, neben der Schule. Mit 16 habe ich angefangen, Filme zu machen. Ich hatte nie wirklich Zeit, mich zu fragen, was ich machen möchte. Ich bin in den Beruf reingerutscht, und mag ihn zu gerne, um ihn in Frage zu stellen.

Die Hauptfigur Nico Fischer entstammt der Elite, aus einem bourgeoisen Elternhaus. Er scheint keine Träume zu haben.

Ich glaube nicht, dass er keine Träume hat. Wir erzählen nur nicht, was er für Träume hat. Das Leben, das von ihm erwartet wird, kommt ihm hohl und banal vor. Und in das möchte er sich nicht einfügen. Deswegen verweigert er sich ein bisschen.

Nico Fischer ist ein sehr passiver Student. Es gibt nichts, wofür er sich begeistert, wofür er sich engagiert.

Meinst du politisch engagiert?

Auch. Aber auch in Bezug auf sein eigenes Lebens. Er kriegt nichts auf die Reihe.

Er studiert nicht, ja. Er hat abgebrochen, genau.

Das Internet, das heute ein großer Bestandteil im Leben vieler Menschen ist, spielt gar keine Rolle im Film. Was hältst du davon?

Was ich davon halte, dass das Internet im Film keine Rolle spielt?

Genau. Wie du selbst vorhin sagtest, erkennt durch einen Blick in jede U-Bahn sofort, dass es zum Alltag vieler Menschen gehört.

Er hat kein Smartphone und deswegen gibt es im Film kein Internet. Die Figur ist in ihrer Verweigerung ja sehr unmodern. Nico ist ja kein Hipster, der ständig am Twittern, oder Facebooken ist. Er ist in gewisser Hinsicht ein sehr altmodischer Mensch.

Hauptdarsteller Tom Schilling und Regisseur Jan Ole Gerster.

Hauptdarsteller Tom Schilling und Regisseur Jan Ole Gerster.

Der Protagonist wurde mit dem des "Fänger im Roggen" verglichen.

Den Vergleich habe ich selbst gemacht. Für mich war das ein Figurenvorbild für den Charakter von Nico Fischer. Dieses Buch war die halbe Vorbereitung für mich. Sie sind beide, glaube ich, sehr intelligente junge Männer, und beide sind auf der Suche nach Wahrhaftigkeit. Insofern könnten die Geschwister sein.

Die Medien haben sehr viel über den Film geschrieben, die Kritiken waren sehr gut. Hast du erwartet, dass das Publikum euren Film so positiv aufnehmen würde?

Man hat es sich natürlich gewünscht. Ich bin mit Jan Ole (Regisseur Jan Ole Gerster, Anmerkung d. Red.) lange befreundet, ich habe immer total an ihn geglaubt und wusste von Anfang an, dass er ein großer Regisseur ist. Deswegen wollte ich unbedingt mitspielen und wusste, dass es auch eine wichtige Rolle für mich sein könnte, die ich auch ausfüllen kann. Die guten Kritiken sind eine schöne Belohnung. Ich finde es beinahe gespenstisch, wie gut der Film besprochen wurde. Es gab keinen einzigen Verriss. Vielleicht habe ich genau die Zeitung nicht gelesen, aber wir hatten schon sehr viel Glück.


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