Nackte unter teuren Kleidern
10. Mai 2013
Von Franziska Gromann
Einmal im Jahr gönnt sich Lissabon, das "Armenhaus Europas" eine Modenschau mit allem, was dazu gehört: schrillen Kleider, schrägen Typen – und horrenden Preisen. Während der Wirtschaftskrise spaltet die ModaLisboa die Stadt: Ist sie pure Verschwendung oder bietet sie gerade jetzt eine Chance, Europa die optimistische, kreative Facette Portugals zu zeigen?
Bild: Franziska Gromann/TONIC

"Für mich ist es ein Verbrechen, solch eine Luxusveranstaltung zu finanzieren, während wir noch nicht mal einen vernünftigen Mindestlohn haben." Raquel hat sich in Rage geredet. Sie ist eine der 16 unbeugsamen, eisenharten Anarchisten, die auf der Praça do Róssio sitzen darüber diskutieren, was ihrer Ansicht nach alles anders werden muss in Portugal: eine Menge. Da wäre zunächst die jährliche ModaLisboa, die einwöchige Modeschau, die laut Raquel und ihren Gleichgesinnten unverzüglich abgeschafft gehört.
"In manchen Regionen im Land gibt es Kinder, die nichts mehr zu essen haben, und diese Leute interessieren sich für Jacken und Kleider für hunderte Euros. Pervers ist das." Mit ihrem Ärger steht sie jedoch fast allein da. Viele Portugiesen haben von der Veranstaltung nicht einmal gehört. Andere unterstützen gar die Idee.
Manuel zum Beispiel. "Normalerweise wird doch bei Kultur und Bildung zuerst gespart", sagt er. Momentan studiert der 24-jaehrige noch Maschinenbau, muss aber bereits auf Nebenjobs zurückgreifen, um dies fortführen können. Man müsse versuchen, den Alltag aufrechtzuerhalten, auch wenn alle nur über die "Krise" reden. "Es sind wirtschaftlich schwere Zeiten. Aber wir dürfen nicht verzweifeln. Deswegen sollten wir auch nicht diese vielleicht unnötig erscheinenden Ausgaben streichen und nur noch in materiellem Profit und ans Sparen denken. Außerdem müssen wir der Welt zeigen, dass Mode in Portugal innovativ sein kann und sie auf unsere kreative Szene schauen lassen."
In Spanien herrscht Krawall – in Portugal Resignation
Während Spanien seit geraumer Zeit im Aufruhr ist und beinahe täglich die Indignados die Straßen unsicher machen, ist es in Portugal vergleichsweise ruhig. Die Menschen scheinen sich in der Mehrzahl mit ihrer Lage abzufinden. Von Zeit zu Zeit mal eine Alibi-Demo: "Zur Hölle mit der Troika!" – dann ist es auch wieder gut. Alles andere ist für hauptberufliche Krawallmacher; und davon gibt es in Portugal wenige.
Nicht vielen fallen als erstes die Begriffe "Mode" und "kulturelle Innovationen" ein, wenn sie an Portugal denken. Auf Lissabon blickt man aus den anderen Metropolen Europas noch immer herablassend.
Prachtmeilen und Obdachlosigkeit: Die Extreme auf den Straßen Lissabons.
Bild: Franziska Gromann/TONIC

"Arbeitsverweigerung", "Unpünktlichkeit", "Drogenparadies", das "Armenhaus Europas" – den meisten Europäern kommen all diese Assoziationen eher in den Sinn, bevor sie Lissabon mit einer Modeschau in Verbindung bringen.
Auf den ersten Blick kann man durchaus den Eindruck gewinnen, dass man damit nicht so falsch liegt: Der Portugiese kommt für gewöhnlich – auch oder gerade besonders zur Fashion Week – mindestens eine halbe Stunde zu spät, mit Regeln muss man das nicht so genau nehmen, gekifft wird sowieso überall, es gibt sehr viele Obdachlose und verfallene Häuser, auch im Stadtzentrum. Ob in Lissabon oder Porto, vielerorts konnte sich niemand mehr den Unterhalt dieser Häuser leisten, so wurden sie sich selbst überlassen; Ruinen, wie man sie hierzulande nur von Fotografien aus der Nachkriegszeit kennt, säumen nun das Stadtbild.
Hinter der verfallenen Fassade grünt es
Doch wer sich mit diesem ersten Blick zufrieden gibt, verpasst eine Menge – denn hinter der verfallenen Fassade grünt es. Auch oder gerade besonders im kulturellen und kreativen Bereich. Dieses Grüne und die Innovationskraft in allen Bereichen des Lebens wollen junge Portugiesen bekannt machen. Doch die Frage lautet: Bedarf es dazu unbedingt einer Fashion Week?
Nachdem Premierminister Passos Coelho Universitätsabsolventen vor die Wahl stellte, auszuwandern oder arbeitslos zu werden, ging ein kleiner Aufschrei durchs Land. "Wenn selbst unser Premierminister derartige Ratschläge gibt, wie sollen sich dann die jungen Leute erst fühlen?", fragt Ana Valdo-Rio, die in der Universitätsverwaltung in Coimbra arbeitet und dort Studierende berät. "Wenn ein Staatschef signalisiert, dass er seine Bürger nicht mehr versorgen kann, dann muss es sehr schlecht um das Land stehen." Aber sie erklärt weiter, dass emigrieren und "die Welt erobern" geschichtlich auch als charakteristische Persönlichkeitsmerkmale der Portugiesen bezeichnet werde können.
Francisco beispielsweise, der vor kurzem seinen Abschluss als Grafikdesigner gemacht hat, ist sich sicher, dass er fort muss. Ebenso Diana, frischgebackene Übersetzerin, findet seit einem Praktikum keine freien Stellen mehr und macht sich darauf gefasst, bald wieder nach Deutschland zu gehen, wo sie ihre Jugend verbrachte. Was sollen diese jungen Leute mit Luxus, Mode?
"Mode ist auch ein Kommunikationsmittel."
Ihnen gegenüber steht Inês de Correia, die die Fashion Week geradezu als Rettungsanker sieht, um das Land aus der Krise und die Portugiesen zurück ins Geschäft zu holen. "Wir müssen bei diesem Event der Welt zeigen, dass wir eben nicht das Armenhaus Europas sind – und die notwendigen Investitionen dafür tätigen." Inzwischen arbeitet Inês als PR-Beauftragte für die Designerin Guava und ist für die Präsentation der Kollaboration von Guava mit Eureka, einer portugiesischen Schuhmarke, verantwortlich. "Natürlich ist das nicht der perfekte Job. Mehr Einkommen wäre immer gut. Aber andererseits gibt es mir die Möglichkeit, hierzubleiben – und ich liebe meine Heimat und die Fashion Week hier!"
Krawallmacher gibt es in Portugal wenige.
Bild: Franziska Gromann/TONIC

Währenddessen werden in Evora schon Abendessen in Schulen verteilt. Selbstverständlich ist Evora nicht stellvertretend für ganz Portugal und auch nicht für Lissabon, aber selbst die Designer stehen der Modenschau vor diesem Hintergrund kritisch gegenüber, wie mir Eleuterio von Os Burgueses verrät. "Niemand kann mir erzählen, dass eine Jacke für 600 Euro nötig ist, um sich vor Wind und Wetter zu schützen. In dieser Hinsicht ist Mode Kunst und ein Luxus. Damit dann auch die Investition in eine Fashion Week. Aber", so fährt er fort, "gleichzeitig ist für uns bei Os Burgueses Mode auch ein Kommunikationsmittel. Wir wollen etwas aussagen mit unseren Entwürfen."
Seine Partnerin Mia ergänzt noch, dass dadurch eine gewisse Notwendigkeit geschaffen wird. "Jede Gesellschaft ist auf Kommunikation aufgebaut. Und der offene Kommunikationsfluss auf einer Art ‚Kunstevent' wie die ModaLisboa eines ist, kann nur förderlich für den Austausch und zum Finden neuer Ideen sein."
Portugal in der Krise: ein Land, das zwischen den Extremen balanciert. 600-Euro-Jacken für die einen, Suppenküchen für die anderen. Doch trotz oder gerade wegen aller Widrigkeiten brauchen die Portugiesen jetzt Anlässe und Ereignisse, um die alltägliche Trübsal zu vergessen und stattdessen die Zukunft des Landes voranzutreiben. Auch die ModaLisboa ist solch ein Ereignis.
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