Gar nichts reicht.
16. März 2013
Von Anna Mayr
Die Autorin Elisabeth Rank hat einen autistisch-aufmerksam-genauen Blick auf die Welt. In ihrem zweiten Roman "Bist du noch wach?" passiert eigentlich nichts. Aber nichts passiert sehr einfühlsam und mit wunderschönsten Worten.
Bild: Anna Mayr/TONIC

Ich mag es nicht, wenn in Geschichten zu viele Dinge geschehen. Ich lege Bücher weg, sobald ich mich zu sehr festgehalten fühle, sobald ein Erzähler meint, mich mit einer erschreckenden Wendung berühren zu wollen. "Bist du noch wach?" habe ich ohne Nervenzusammenbruch zu Ende gelesen.
"So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Das mit dem Alter und dem Lauf der Dinge. Ende zwanzig zu sein und auf einem Bett zu sitzen, als sei es ein Boot, und der Rest wirft sich herum wie ein Meer, mich selbst in karierter Bettwäsche von Ikea und mit zerzausten Haaren an einem Mittwoch."
Rea ist fast dreißig und unzufrieden. Die Gespräche mit ihrem Mitbewohner Konrad sind nicht mehr so heilsam wie früher, ihre beste Freundin Sina verliebt sich in einen verheirateten Mann und Mutter Renate hütet ein trauriges Geheimnis. Ihr Leben ist eigentlich irgendwie okay: ein Job als Kreative in einer Werbeagentur, ein paar Freunde, eine freundliche Katze. Aber der beste Freund verschwindet langsam von der Bildfläche – und die Mauern der gemeinsamen Wohnung fangen an, zu bröckeln.
Klingt bis jetzt nach einem unausstehlichen Frauenroman mit Kitschgarantie. Und tatsächlich versinken die Dialoge zwischen Rea und Sina manchmal im Sumpf des mitschwingenden Pathos.
Aber zwischendurch schafft die Autorin es immer wieder, Literatur zu machen. Solche, an die man sich vielleicht in ein paar Jahren noch erinnert, weil sie schwerer wiegt als jede zwanzigste Auflage von "Ein Mann zum Proseccofrühstück" und Konsorten.
Ranks Roman feiert seine Höhepunkte an den kryptischen Stellen. Wenn der Leser in den Wust von Reas Gedanken hereingezogen wird und gar nicht wissen soll, was das gerade bedeutet.
"Wenn das da oben das große Ganze ist, bin ich definitiv das Kleine..."
Reas Geschichte passiert ganz leise, sie rührt nicht zu Tränen und führt auch nicht zu Schweißausbrüchen. Tatsächlich gibt es nur eine Frage, die mich nach der Lektüre nicht loslässt: Schmecken wirklich alle Kratzeissorten gleich, wenn man sie mit geschlossenen Augen isst? Der Roman ist, ähnlich wie der Autorinnenblog, nichts für Spannungsfanatiker, sondern für Wortfetischisten. Ranks Sätze sind wie ein Lied, das angenehm klingt, durcheinander, aber durchdacht.
"...im Schlosspark hatten meine Freunde und ich damals immer gelegen und gekifft und eigentlich nichts gemacht außer in den Himmel gestarrt und geglaubt, das sei schon Protest genug."
Viel wichtiger als die eigentliche Entwicklung der Hauptperson ist der fast schon unheimlich aufmerksame Blick der Ich-Erzählerin auf die Welt, auf die kleinen Dinge, Situationen, die Gewohnheiten der Menschen um sich herum.
Rea schafft es mit ein paar Sätzen, über alle Berliner Hipster-Partys zu richten und doch ein Teil derselbigen zu sein. Sie bewegt sich in einer Gesellschaft voller Erwartungen, voller Ich-wills und Er-solls – dabei ist alles was sie erwartet, dass man sie mit Erwartungen in Ruhe lässt. Und immer wieder fühlt man sich von ihr ertappt dabei, etwas vorher nie bemerkt zu haben – das mögen die Attitüden der Berliner Psychologiestudenten sein oder eben nur, dass Gras unter den Schuhen im Winter klingt wie gefrorene Haare. "Bist du noch wach?" will nicht viel – außer eben erzählen, wie es ist und warum. Das reicht.
Elisabeth Rank: "Bist du noch wach?" – erschienen am 12. März im Berlin Verlag. Man kann den Roman in Buchhandlungen für 17,99 € kaufen. Vielleicht auch hier.
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