Kätzchen in der Charité
17. Dezember 2012
Von Fabian Stark
Ein Fremder schlug Fabian einen Stein auf die Stirn. Doch zum Trauma reifte der Vorfall erst in der Charité-Klinik. Fabian wartete vier Stunden, und ein Katzenbaby stohl ihm die Nerven. Eine wahre Erzählung aus Deutschlands bestem Krankenhaus.
Der Laie sieht nicht sofort, was hier nicht stimmt in Fabians Schädel. Und auch die Ärzte der Charité ließen sich Zeit.
Bild: Fabian Stark/TONIC

"Deutschland den Kurden, du Hurensohn!"
Mit diesen Worten schmetterte mir vorigen Dienstag ein Fremder ein Granitpflaster gegen die Stirn. Vorher kein falscher Blick, kein Kommentar, keine Vorwarnung – ich stolperte in den Hausflur, eine Freundin half mir, wir riefen die Polizei. Die Feuerwehr fuhr mich ins Vivante Klinikum, Diagnose: "Fraktur der Vorderwand der Sinus frontalis rechts mit Impression der Vorderwand" und Gehirnerschütterung. Auf deutsch: Schädel angebrochen, schwerer Kopfschmerz und zehn Euro Praxisgebühr.
Das gelangweilte Kurden-Nazischwein hatte bereits einigen Ärger und Verzweiflung in mir hervorgerufen, doch das Schlimmste war etwas Anderes: Die Klinik überwies mich zur Charité, Berliner Universitätsklinikum, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie.
"Setz dich, Mann!"
Am Donnerstagmorgen fuhr ich hin. Ich gab der Krankenschwester meine Papiere, Computertomografien, sie schnepfte mich an: "Warum sind Sie hier – Sie waren doch schon im Krankenhaus! Mann. Setz dich."
Ich setzte mich, es war halb zwölf. Außer mir wartete noch ein junges türkisches Ehepaar. Ab und zu gingen Ärzte hin und her. Krankenpfleger holten Kaffee. Gingen aufs Klo. Scherzten mit dem oben genannten Schrapnell. Bafften Patienten an. Medizinstudenten watschelten aufrechten Blickes vorbei. Ich begann, die vergilbten Bilder an der Wand zu betrachten: Da waren kuschelnde Wölfe, die schenkelklopfende Karikatur des "ganz normalen Klinikalltags", New York aus der Vogelperspektive, und mir gegenüber ein weißes Katzen-Baby, auf einer Bank liegend.
13 Uhr, mittlerweile hatte sich ein freundliches, älteres Ehepaar zu mir gesellt. Ich wurde nervös. Ich stand auf, ging den Gang auf und ab, sah mir die Bilder an. Der Flurfunk sagte mir, dass gerade eine verunglückte Polizistin notoperiert werde. Die Krankenpfleger packten ihre Brote aus.
14 Uhr, ich stand am Katzenbaby und begann seinen Rahmen zu schaukeln. Ich kickte meinen Schuh gegen die Wand. Besser raus hier. Ich lief zum Personalzimmer und fragte: "Ich geh mal kurz telefonieren, ist das okay?" Die Schnepfe blickte auf und nickte.
Stundenlang passiert nichts – dann verpasse ich zwei Aufrufe in zehn Minuten
Ich ging hinauf, rief eine Freundin an. Meine Stimme war gebrochen, fast schrie ich. Sie wollte, dass ich da bleibe. Ich marschierte wieder hinunter und knallte die Tür hinter dem Wartegang. Der ältere Mann bemerkte, ich sei aufgerufen worden. Der dicke Krankenpfleger sagte:
- "Stark? Wir haben Sie zwei Mal aufgerufen, und Sie waren nicht da."
- "Ich war zehn Minuten telefonieren."
- "Na dann sagen Sie doch, dass Sie draußen sind."
- "Das habe ich getan."
- "Der Doktor ist jetzt wieder weg. Sie kennen doch die Ärzte. Jetzt müssen Sie warten. Und stehen Sie nicht immer vorm Personalzimmer rum. Wir unterhalten uns da über die Patienten."
Sie sollten lieber mit den Patienten reden statt über sie.
Ich wartete und schaukelte das Katzenbaby. Mein Magen grummelte, ich zitterte. Das Katzenbaby fiel von der Wand. Ich erschrak und stellte den Rahmen auf den Boden. Der dicke Krankenpfleger kam zu mir: "Gefällt Ihnen nicht? Wo kämen wir denn da hin, wenn hier jeder macht, was er will?" Ja, wo kämen wir da hin? Der dicke Krankenpfleger fragte das Schrapnell, warum es seinen Lieblingstee nicht mehr in der Kaffeeküche gebe.
15:10 Uhr, ein junger Arzt brauste an und verschwand im Zimmer. Der dicke Krankenpfleger fragte mich: "Haben Sie noch mehr Aufnahmen Ihres Schädels?" Ich verneinte: "Hab ich nicht bekommen. Aber es gab noch mehr Computertomografie." Er besprach sich mit dem Arzt, dieser kam aus seiner Kammer und herrschte mich an: "Sie hätten eine CD mit Ihren Aufnahmen bekommen müssen. Entweder wir machen hier noch eine Computer-Tomografie, wär dann erhöhte Strahlenbelastung. Oder Sie fahren zurück zum Urban-Krankenhaus und holen uns die Daten."
Ich verlor die Fassung.
"Ich warte hier dreieinhalb Stunden um zu erfahren, dass ich noch eine CD hätte mitbringen sollen?"
Der Arzt: "Ich komme gerade aus einer Notoperation. Sie sehen doch, was hier los ist. Sie wissen, die Krankenpfleger..."
Ich: "Klar muss man Prioritäten setzen. Aber Sie haben ein Kommunikationsproblem. Können Sie sich die Fotos nicht mailen?
Er: "Nein, die Dateien sind zu groß. Geht auch nicht wegen Datenschutz."
Ich: "Wenn Sie mich jetzt nicht behandeln, dann..."
Nicht lebensgefährlich, aber Schneuzverbot
Der Arzt ließ mich herein, starrte auf den Computer und monotönte wie aus der Pistole geschossen: "Waren Sie feiern?"
Meine Kinnlade fiel: "Nein, ein Fremder schlug mir einen Stein auf die Stirn."
Arzt: "Und was kann ich dafür? Na, da kann ich Ihnen auch nicht mehr sagen. Ist ja nicht lebensgefährlich. Ist nur lebensgefährlich, wenn eine Blutung auftritt, ja? Also, Schneuzverbot. Holen Sie die CD und lassen Sie sich einen Termin für Anfang nächster Woche geben. Wir schneiden Ihre Augenbraue auf und schieben eine Metallplatte drunter. Rufen Sie nächstes Mal einfach an, dann geht das auch schneller."
"Ich hatte schon mehrmals angerufen, aber da ging nie jemand ran."
Der Arzt guckte blöde und reichte mir Nasenspray. Ich schlotterte raus und stieß im Klo den Abfalleimer von der Wand – einen Termin ließ ich mir nicht geben. Mein Kopf muss rot gewesen sein, nicht nur meine Stirn. Verrecken sollte das Katzenbaby.
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HolgerAm 18. Dezember 2012
Merkwürdig, ich hatte auch ein sehr schreckliches Erlebnis in einem Krankenhaus, bei mir war es allerdings ein Ikea-Triptychon (Sand - Meer - Steine), auf das sich dann meine Wut gerichtet hat. Warum ausgerechnet auf Bilder??!
Gute Besserung, jedenfalls!