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Für *Banker

Mein finanzielles Fiasko 2059

30. November 2012
Von Jakob Hinze

Jakob aus Hamburg ist Autor bei TONIC

Texte von Jakob
autor@tonic-magazin.de

Jakob Hinze

Schon in jungen Jahren altert man schnell. Hat man das begriffen, wird man am besten Kundenberater einer Geschäftsbank und berät Gleichaltrige bei der Altersvorsorge. Eine Begegnung zwischen Jakob und einem Grünschnabel.

Er ist jünger als ich, geschniegelter als ich - und gemeinsam denken wir über meine Rente nach.

Er ist jünger als ich, geschniegelter als ich - und gemeinsam denken wir über meine Rente nach.

Das Milchgesicht im Nadelstreifenanzug legt die Stirn in Sorgenfalten. "Die Flexibilität ist nicht da, Herr Hinze", sagt es, während es mit ausgefahrenem Kugelschreiber auf den Bildschirm seines Rechners deutet. Darauf: Grüne Balken (äußerst kleine) und rote (dicke Brocken), die meine Budgetbilanz im Monat meines bevorstehenden Renteneintritts, dem Januar 2059, verbildlichen. Seine Botschaft: Ich steure auf den finanziellen Kollaps zu. Und seine Bank kann mir helfen. Nur seine Bank.

Der Ernst des Lebens verkommt in dieser Bank zur Lächerlichkeit.

Seit ich einen persönlichen Kundenberater habe, der jünger ist als ich, sind meine Bank-Besuche ganz und gar absurd geworden. Da sitzen wir, zwei Burschen, die ihren 21. Geburtstag beide noch nicht gefeiert haben, und reden ganz ohne Spaß über die dämmernden finanziellen Bedrohungen eines Datums, das fast ein halbes Jahrhundert in der Zukunft liegt. Und anscheinend bin ich die einzige Person am Tisch, die das lächerlich findet. Das liegt nicht bloß daran, dass der Junge aussieht, als habe man ihn soeben aus einem Herrenkatalog ausgeschnitten; nicht nur daran, dass er mich kompromisslos mit dem Nachnamen anredet und mir den Stuhl zurechtrücken will, bevor ich Platz nehme; und nicht nur an den verfluchten Höflichkeitsfloskeln, mit denen er mich die ersten zwei Minuten unseres Beratungsgesprächs bombardiert, ehe wir uns dem Ernst des Lebens zuwenden. Nein, vor allem dieser Ernst des Lebens selbst ist es, der bei nüchterner Betrachtung dieser Situation zu einer Lächerlichkeit verkommt.

Wenn ich diesen Vertrag nicht unterschreibe, werde ich bis zum jüngsten Gericht Hunger leiden.

Noch immer blinken diese Balken auf dem Monitor. Weil ich mit dem verständnisvollen Blick einer Milchkuh darauf starre, erklärt mir der Junior, was sie bedeuten: Wenn ich nicht schleunigst den HASPA-Aktivsparplan, den er mir Minuten zuvor unterbreitet hat, unterzeichne, werde nicht nur ich auf meine alten Tage an Hunger leiden, sondern auch meine Kinder und meine Kindeskinder (deren zukünftige Existenz ebenso selbstverständlich vorausgesetzt wird wie die Annahme, dass sie permanent klamm sein und ihrem Opa die Kröten aus der Tasche ziehen werden). Was ihn allerdings mindestens ebenso sehr zu beunruhigen scheint wie die Dominanz rotfarbiger Balken in meiner künftigen Budgetbilanz, ist die Tatsache, dass bei mir noch immer keine Schnappatmung eingesetzt hat; kein Schweißausbruch; keine Tränen; und ich mache auch nach wie vor keine Anstalten, den Knebelvertrag zu unterschreiben, der mich am besten bis zum jüngsten Tag an sein Geldinstitut binden soll. Meine Ignoranz in Anbetracht der roten Zahlen auf seinem Monitor macht das Milchgesicht fassungslos; es kann nicht begreifen, dass ich mich für den Januar 2059 einen feuchten Kehricht interessiere.

Die Probleme eines halben Jahrhunderts: gelöst.

Dabei entbehrt seine Argumentation nicht einer gewissen Gründlichkeit; er erklärt mir die Folgen des demographischen Wandels zwar in etwa so, wie es sonst nur die Sendung mit der Maus tun würde, doch er stellt auch gute Suggestivfragen. Unbequeme Fragen. Fragen, denen ich nicht ausweichen kann: "Sind Sie im Alter an staatlichen Förderungen interessiert? Wollen Sie zulassen, dass Sie nicht selbst über die Begünstigten Ihres Erbes entscheiden können, sondern der Staat es abgreift? Wollen Sie bis zum Renteneintritt ein Vermögen aufbauen? Ja oder nein?" Ich sitze in der Falle, denn meine Antworten lauten Ja, nein und ja. Und das treibt mich direkt in seine Arme, die bereits mit dem HASPA-Aktivsparplan fuchteln.

Es ist schwer zu sagen, ob sich mein Berater wirklich darum sorgt, ob und in welchem Ausmaß ich in meinem 68. Lebensjahr an materieller Not werde leiden müssen. Doch seine offenkundige Überzeugung, für jenes fernliegende Datum auf den Cent genau meinen Kontostand ausrechnen zu können, ist schwer erträglich. Auf Basis völlig willkürlicher Annahmen darüber, was mein künftiges Bruttomonatsgehalt sein könnte, ob ich irgendwelche Häuser bauen würde und was meine Enkelkinder, sollten sie je das Licht der Finanzwelt erblicken, davon hätten, rechnet er eifrig hin und her und kommt – was für eine überraschende Wendung – zu einer einzigen Lösung: Was für private und gesellschaftliche Triumphe und Tragödien die nächsten fünf Dekaden auch immer bringen mögen – mit dem vermaledeiten HASPA-Aktivsparplan werde ich nachts ruhig schlafen können! Stillschweigend höre ich ihn an und bin unentschieden, ob er mich entweder für dämlich genug hält, um drauf reinzufallen, oder ob er während seiner Ausbildung einfach erfolgreich gehirngewaschen wurde.

Wir hätten früher noch in einer Sandkiste spielen können.

Die Beharrlichkeit, mit der ich sogar seine einfachsten Fragen nicht mit klaren Aussagen, sondern zeitschindendem Geschwafel beantworte, erweist sich schließlich als meine Rettung, denn sie zwingt ihn zu seinem entscheidenden Fehler: Er verzichtet darauf, weiterhin auf meine sofortige Unterschrift zu drängen, und bietet mir in einem Moment der Schwäche eine Woche Bedenkzeit an. Ich verstehe, dies ist die einmalige Chance, hier rauszukommen. Doch als wir uns, förmlich einander die Hand schüttelnd, voneinander verabschieden, geschieht etwas Merkwürdiges: Ein Zug tritt plötzlich in seinen Blick, als würde er mich gerade in diesem Augenblick als gleichaltriges, im täglichen Leben an Aktivsparplänen desinteressiertes Gegenüber erkennen. Er lächelt, und mir wird klar: Unter anderen Umständen hätten das Milchgesicht und ich früher in derselben Sandkiste spielen können...

Taten wir aber nicht. Und so gehen wir an diesem Vormittag auseinander und in unsere sehr unterschiedlichen Lebenswelten zurück. Vielleicht wird sich das Mitleid, das ich heute mit ihm habe, eines Tages rächen; das aber frühestens im Januar 2059.


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Kommentare

Dr. ElchAm 2. Dezember 2012

Dieser Artikel: ein Fest! Selten die Bürokratie so schön auf Milchbäckchenniveau reduziert erlebt. Wie wärs mal mit ner Bürokratie-Serie/-Kolumne? Ich bin Fan!

MercyAm 7. Dezember 2012

Den Artikel hab ich schon gelesen nur nicht hier sondern da:

http://www.zeit.de/studium/uni-leben/2012-12/student-bankberater-altersvorsorge

Thilo EssAm 8. Dezember 2012

Ist auch derselbe Autor. ;-)

FabianAm 9. Dezember 2012

Und wo war er früher, na? :)