Und damals, als Ginsberg...
14. August 2012
Von Greta Hofmann
Der Pariser Buchladen Shakespeare and Company steht seit 1951 allen offen: Schriftstellern, Soldaten, Suchenden – Jede und jeder, der drinnen war, lässt seine Geschichte dort. Ein Besuch an einem literarischen Wallfahrtsort.
Shakespeare & Company ist seit 1951 Treffpunkt für Schreiber und Geschriebenes.
Bild: Greta Hofmann/TONIC

"Ich wünschte, ich wäre Ernest Hemingway." Das ist mein erster Gedanke, als ich an einem verregneten Dienstag zum ersten Mal den Buchladen Shakespeare and Company im Pariser Panthéon–Viertel betrete. Oft genug liest man von den Orten, an denen große Schriftsteller gearbeitet, gelebt und getrunken haben, aber hier fühlt man sich ihnen noch wirklich nah. Das liegt vor allem daran, dass es hier schon von Anfang an die Besucher waren, die durchreisenden und die bleibenden, die diesen Ort geformt haben. In der Leseecke des Ladens haben sie hunderte von Buchzitaten und Briefen an die Wand gepinnt, manche schon mehrere Jahrzehnte alt. Schon seit seiner Gründung 1951 ist die Geschichte des Ladens eng mit der seiner Besucher verbunden und noch heute ein Symbol für die ganz eigene Bohème der Schriftsteller und Weltenbummler.
Ein Bibelspruch ist das Motto gewesen für Gründer George Whitman.
Bild: Greta Hofmann/TONIC

Und diese Schriftsteller kommen noch heute aus aller Welt um in dem berühmten Laden zu schmökern, zu arbeiten und sogar zu wohnen. "Wir nennen sie Steppenläufer", sagt David, der heutige Geschäftsführer, und lächelt. "Durchschnittlich bleiben sie zwischen 10 Tagen und 9 Monaten bei uns. In den 70ern gab es einen jungen Schriftsteller, der 7 Jahre lang hier gewohnt hat. Es ist Tradition, dass jeder eine kurze Biographie und ein Foto zurücklässt. Seit 1951 haben wohl an die 15000 Leute hier übernachtet." Gründer George Whitman selbst hat dieses Konzept erdacht, tief beeindruckt von der Gastfreundschaft der südamerikanischen Ureinwohner, die er während einer Reise nach Yucatan kennen gelernt hat. Das große Banner über der Treppe hat er selbst angebracht: "Be not inhospitable to strangers lest they be angels in disguise." Darunter stapeln sich die Bücher, manche gebraucht, manche nicht, neben alten Schreibmaschinen und Leselampen, ausgedienten Kinosesseln und einem Klavier, auf dem gerade jemand Chopin spielt. Er ist ein Rucksacktourist aus Austin, Texas, der sich zufällig in den Laden verirrt hat. Die meisten jedoch kommen hierher, weil sie Inspiration suchen oder glauben, hier ein wenig näher zu sich selbst zu finden. Abiturienten, Soldaten, Backpacker, Professoren – Die Liste ist lang, und jeder der Besucher lässt auch ein wenig von sich selbst zurück, eine weitere Lebensgeschichte, aufbewahrt im uralten Gebälk des Buchladens.
Ein texanischer Verirrter spielt Chopin.
Bild: Greta Hofmann/TONIC

Doch nicht nur Träumende und Suchende aus allen Erdteilen haben sich schon immer im Shakespeare and Company versammelt; der Laden hat auch eine lange Tradition als Treffpunkt für Poeten wie Henry Miller, Anaïs Nin, Allen Ginsberg oder Simon Beckett.
"Meine Lieblingsgeschichte ist die von der Lesung, die Allen Ginsberg, Gregory Corso und William Burroughs 1957 im Laden gehalten haben, als sie alle noch in Paris lebten und der Laden praktisch ihr zweites zu Hause war", erzählt David. "Ginsberg war nervös, hatte zu viel getrunken und las aus ‚Howl' vor; Corso entschied sich spontan seine Gedichte nackt zu lesen, inmitten seiner Bodyguards; Burroughs las zum ersten mal aus The Naked Lunch vor, das er zum Teil hier bei uns im Laden geschrieben hat. Es gibt so viele Geschichten – mit 15 000 Menschen erlebt man eine Menge Geschichten!"
Trotz Vintage-Romantik: Der Laden hat seine Absicht behalten.
Diese Geschichten sind das, was Shakespeare and Company berühmt gemacht hat, lange bevor der Laden die Vintage – Romantik für Filme wie Before Sunset und Woody Allens Midnight in Paris lieferte. Hier fasziniert, dass Shakespeare and Company nach all den Jahren – oder vielleicht gerade jetzt – immer noch ein Aufruf zur Kreativität ist, ein überzeugtes "Du kannst das auch!". Er steht als Symbol für die Beat-Generation der 50er, gleichzeitig aber auch als Symbol dafür, dass es den Beat immer noch gibt.
"Junge und ambitionierte Schriftsteller kommen noch genauso hierher wie vor 50 Jahren", erklärt David. " Heute sind sie vielleicht etwas jünger als damals, sie haben aber immer noch den gleichen Ausdruck, die gleiche Leidenschaft zu schreiben. Das finde ich beruhigend."
Bücher unterschiedlicher Ordnung.
Bild: Greta Hofmann/TONIC

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