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Für *Erdbeerenpflücker

Das gute Leben im eigenen Staat

27. März 2012
Von Anne Kratzer

Anne aus Regensburg ist Autorin bei TONIC

Texte von Anne
autor@tonic-magazin.de

Anne Kratzer

Der österreichische Regisseur Paul Poet suchte Gegenentwürfe zu unserer Gesellschaft. Er fand sie in real existierenden Mikrostaaten. In seinem Dokumentarfilm "Empire Me – Der Staat bin ich" stellt er eine Handvoll der weltweit etwa 500 autonomen Gemeinschaften vor.

Paul Poet sucht Gegenwelten

Paul Poet sucht Gegenwelten

"‚Utopia, Utopia, Utopia. Was ist sie, die Gesellschaft der Zukunft? Wo ist das Ich, das Wir, das Abenteuer?’ Er fragte: ‚Sir, Sie meinen, das gibt es wirklich, so ein Land da draußen?’ Ich sagte: ‚Ja, Skipper.’"

Paul Poet flüstert Dialoge, raunt Kommentare, stellt immer wieder Fragen aus dem Off. Die Identitäten des Skippers und seines Gegenübers werden nie gelüftet, nur eines weiß der Zuschauer über die beiden: Es sind Reisende. Und er begleitet sie auf ihrer Fahrt über den Globus, die sie an die verschiedensten und entlegensten Orte führt.

Raues Männerland auf offener See

Die Nordsee im Südosten Englands, der Himmel ist dunkel, es ist windig. Wellen schlagen gegen zwei dicke Betonsäulen, darauf liegt eine Platte mit einem flachen Gebäude, Satellitenschüsseln und anderen rostigen Geräten – eine ehemalige Fliegerabwehrplattform. Das Fürstentum von Sealand. Ein raues, rostiges Männerland. Um an keine Gesetze gebunden zu sein, haben Radiopiraten hier 1967 die erste anerkannte Mikronation der Welt gegründet. Dauerhaft leben hier zwei Männer. In den Wohnungen hört man das Meer, das an alle Wände prallt. Sie befinden sich innerhalb der beiden Betonsäulen, bis zu 30 Metern unter dem Meerspiegel.

Sinnlicher Menschenwald

"Ich liebe an euch Männern, dass ihr so gut in mich reinpasst." Gelächter in einer Gruppenstunde im Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung, kurz ZEGG, 700 Meilen östlich von Sealand nahe Berlin. In dieser Kommune leben etwa einhundert Menschen. "Ich hatte immer das Gefühl, dass es so, wie die Leute draußen leben, nicht richtig ist, dass man zusammen leben muss, dass das der einzig logische Schluss ist", sagt Cindy. Poet filmt feuchte, golden glänzende Beine, Bäuche, Münder. Sie verknoten sich, krümmen sich, winden sich. Ein Dutzend Männer und Frauen baden in Öl, um die Ursuppe zu erfahren. Sie alle sind Individuen, aber diesen Moment lang sind sie eins. Selbsterfahrung durch Sinnlichkeit. Im ZEGG wird seit den Neunzigerjahren Offenheit und Bewusstsein für Liebe und Sexualität gelebt.

Selbsterfahrung durch Sinnlichkeit im ZEGG

Selbsterfahrung durch Sinnlichkeit im ZEGG

"Ist die Freiheit denn nur draußen? Ist der Staat nur Beton, Ordnung der Vernunft? Wo ist die Ordnung des Fleisches?", fragt Poet. Für ihn ist das ZEGG ein "geiler, raschelnder Menschenwald."

Vom esoterischen Disneyland zu einem König in Australien
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