„Nazis konnten ungestört ihre Strukturen aufbauen“
27. Februar 2012
Von Christopher Kammenhuber
Seit 12 Jahren nutzen Neonazis den Jahrestag des Dresden-Bombardements 1945, um einen deutschen Opfermythos zu erschaffen. Am 18. Februar gelang eine Blockade der rechten Demo; wir sprachen mit dem Initiator Stefan Thiele vom Bündnis Dresden Nazifrei.
Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) auf der Dresdner Anti-Nazi-Demo am 13. Februar
Bild: Christopher Kammenhuber

Was macht "Dresden Nazifrei"?
Das Aktionsbündnis Dresden Nazifrei hat sich 2009 aus Initiativen, Vereinen, Gewerkschaften, Parteien, Antifagruppen, religiösen Gruppen und Einzelpersonen gebildet um sich den immer weiter wachsenden Naziaufmarsch und seiner menschenverachtenden Ideologie in den Weg zu stellen. 2010 und 2011 blockierten mehrere zehntausend Menschen sämtliche Demonstrationsversuche der Nazis und verhinderten so die Verbreitung von rechter Ideologie und Geschichtsrevisionismus.
Habt ihr eure Ziele erreicht?
Dieses Jahr sind wir überaus erfolgreich gewesen! Wir haben jegliche Versuche eines Naziaufmarsches am 18. Februar verhindert. Es ist uns gelungen eine gewaltfreie, 10 000 Menschen starke, kraftvolle, bunte, antifaschistische Demonstration auf die Beine zu stellen. Bereits am 13. war es uns gelungen eine beispiellose Gegen-Opfermythen-Aktion zu installieren, damit wollten wir eine Umdeutung der Geschichte erzeugen, in Hinblick darauf, wer in Dresden Täterinnen und Täter waren. Diesem Aufruf folgten mindestens 2 000 Menschen, darunter auch viele ältere Dresdner Bürger und Bürgerinnen. Die Route des Nazifackelaufmarsches am 13. Februar war nur noch ein Lachnummer mit 1 200 Metern. In Dresden hat ein Umdenken auf vielen Ebenen stattgefunden.
Die Stadt unterstützte keine Gegendemonstrationen.
Wie kann man sich die Demonstrationszüge vor 2010 vorstellen? Ohne Blockaden oder Gegenveranstaltungen?
Vor 2010 gab es verschiedene Versuche sich gegen den Naziaufmarsch zu wehren. Doch Politik und Gesellschaft waren nicht geschlossen bereit und der Naziaufmarsch war erfolgreich. 2009 gab es eine antifaschistische Demonstration des von No Pasarán und eine Demonstration des Geh Denken Bündnis, aber die Stadt unterstützte keine von beiden.
Wieso ließ die Dresdner Bevölkerung das zu?
Seit 50 Jahren ist der Opfermythos Dresden auch in der sogenannten "Gesellschaftlichen Mitte" der Stadt gewachsen. Durch die Inszenierung als Trauermarsch in Gedenken an die Toten verschleierten alte und neue Nazis bei ihren Demonstrationen den eigentlichen Zweck ihrer Aufmärsche. Schließlich wurde und wird das Problem des Rechtsradikalismus in Dresden und Sachsen immer noch nur unzureichend erkannt.
Wieso bietet der Freistaat Sachsen solch einen Nährboden für rechte Ideologien?
Der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen Kurt Biedenkopf sprach 2000 noch davon, dass die Sachsen gegen rechtes Gedankengut immun seien. Das Gegenteil war bereits damals der Fall. Die Untätigkeit und das mangelnde Bewusstsein der sächsischen Behörden führte dazu, dass Nazis nahezu ungestört ihre Strukturen ausbauen und sich vor allem in ländlichen Regionen im Alltag festsetzen konnten. Die normale Bevölkerung gewöhnte sich an das Bild von kahl rasierten Köpfen. Genau hierin liegt die Gefahr. Zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich gegen Nazis engagieren, werden mittels Extremismusklausel verfolgt.
180 Morde von rechts, aber keiner von links.
Wird vom Staat im Kampf gegen Rechts ein falscher Schwerpunkt gesetzt?
Ja. Der Freistaat Sachsen ist ein Vorreiter der Extremismustheorie; Diese setzt Rechts und Links gleich. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache. Den über 180 Morden mit rassistischem Hintergrund kann man keinen einzigen Toten aufgrund linksradikaler Motivation entgegensetzen. Trotzdem wurden Landeskriminalamt und Regierung nicht müde, über die Gefahren von Links zu philosophieren. Dabei entging ihnen jahrelang, dass mit der NSU eine terroristische Nazizelle ungestört in ganz Deutschland morden und in Sachsen Unterschlupf finden konnte.
Fälle wie der des Jugendpfarrers König oder der millionenfachen Sammlung von Handydaten bei Demonstrationen wirken so, als ob striktes Einhalten von Gesetzen nicht immer rechtens ist. Sollte man das Rechtsstaatsprinzip nicht immer so streng auslegen und Zivilcourage manchem Strafverfahren vorziehen?
Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass die sture Anwendung von Gesetzen zum Missbrauch derselben führt. Während der NS-Zeit beriefen sich Richter und Juristen immer darauf, lediglich geltendes Recht umzusetzen. Auch 2011 nutzen Behörden Gesetze, um politische Gegner zu kriminalisieren und zu demoralisieren. Deshalb wehren wir uns mit Mitteln des zivilen Ungehorsams auch gegen eine moralische Aushöhlung der Gesetze.
Bild: Christopher Kammenhuber

Wie steht das Bündnis Dresden Nazifrei zu Ausschreitungen zwischen Gegendemonstranten und der Polizei? Was versteht ihr unter "Blockade"?
Der Aufruf zur Blockade ist ein Aufruf zu zivilem Ungehorsam, also ein bewusster und massenhafter Regelübertritt. Ziviler Ungehorsam ist in unseren Augen dann nötig, wenn Nazis wieder massenhaft in unserer Gesellschaft sichtbar werden, rechtsradikales Gedankengut auch in der Mitte salonfähig wird und dadurch die Gefahr eines Erstarken der Rechten sehr real ist. Bezüglich der Ausschreitungen teilen wir die Auffassung des Komitees für Grundrechte und Demokratie, wonach die sächsischen Behörden maßgeblich für die Ausbrüche verantwortlich sind. Wir wollen bei unseren Aktionen keine Eskalation und versuchen auch im Rahmen unserer Möglichkeiten dementsprechend auf Blockierer und Blockiererinnen einzuwirken.
Ist es an der Zeit die Stigmatisierung politischer Gruppierungen bei Demonstrationen zu überdenken und nicht alle, die schwarz tragen, gleich in eine Schublade zu stecken?
Jegliche Stigmatisierung ist schon aufgrund der Grund- und Menschenrechte und des Antidiskriminierungsgrundsatzes abzulehnen.
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