Pragmatische Angsthasen
20. Januar 2012
Von Fabian Stark
Journalisten lieben es, neue Generationen ins Leben zu rufen: Doof, Porno, Facebook. Letzten Herbst entsprangen die Generationen-Porträts jedoch nicht der Feder eines unausgelasteten SPIEGEL-Redakteurs, sondern der zweier Frauen, die selbst noch unter 30 sind.
Bild: Patricia Trosciniecki/TONIC

Anna nimmt teil im Spiel des Lebens, macht Karriere, verausgabt sich, bis sie nicht mehr aus dem Bett kommt, als wandelnde To-Do-Liste zeigt sie hohes Maß an Flexibilität, Leistungsbereitschaft und Loyalität. Bastian hingegen übt sich in der Verweigerung: der Karriere, die nur Tretmühle ist, dem Konsum, den Abgabefristen an der Uni. Nina Pauer, 1982 geboren, schreibt in Wir haben keine Angst – Gruppentherapie einer Generation über zwei fiktionalen Altersgenossen. Anna und Bastian verkörpern die NEON-Frage: "Planen oder treiben lassen?" Diese Frage stellt, wer keine Orientierung hat. Denn wer plant oder treibt, will weiterkommen, weiß aber nicht, wohin, geschweige denn auf welchem Weg. Eine Antwort auf die Frage kann weder Anna noch Bastian geben – weder die Planerin noch der Schlendrian sonnt sich im Ausgleich mit sich selbst. Während Anna gerne abschalten würde, bekommt Bastian gar nichts gebacken. Das Gefühl, etwas zu verpassen, haben beide. Beide treiben die Zweifel zum Psychologen. Und beide suchen nach einem Sinn und haben Angst ihn vielleicht nie zu finden.
Nina Pauer und ihr Buch "Wir haben keine Angst"
Bild: S. Fischer/Dennis Williamson

Aus dem Prolog von Wir haben keine Angst:
Die Autorin Meredith Haaf, 1983 geboren, spricht in Heult doch – Über eine Generation und ihre Luxusprobleme eine ähnliche Sprache: "Wir" haben Angst, da wir heute alles haben, aber das Morgen unsicher ist. Wir solidarisieren uns nicht mehr mit der Gesellschaft, höchstens mit einem Netzwerk von losen Kontakten – oder ziehen uns in die Familie zurück. Wir handeln nach einer Kosten-Nutzen-Analyse, fahren die Ellenbogen selbst in unseren Freundeskreis aus. Wie Haaf entwarf auch die Shell Jugendstudie 2010 das Bild einer pragmatischen Generation: Die Karriere zählt, und dass man sich viel leisten kann. Pragmatismus allein sei aber kein Problem, so Haaf, nur die Ideale dürften dabei nicht flöten gehen: "Fast keine großen Fortschritte (…) sind darauf zurückzuführen, dass jemand sich dachte: Ich denke, für den Markt ist es am besten, wenn ich meine Bilder jetzt in geometrische Formen aufteile/einen Bewusstseinsstrom über 1000 Romanseiten schreibe/das allgemeine Wahlrecht einführe." Denn wenn wir in Politik, Gesellschaft, gar im Privatleben nur noch denken würden wie Börsianer, werden uns nie Alternativen einfallen, werden wir nie etwas voranbringen. Meredith Haaf behauptet ein Ende der Solidarität – hier aber widerspricht ihr die Jugendstudie: 7 von 10 Jugendlichen meinen, gegen Missstände in Arbeitswelt und Gesellschaft müsse man sich wehren. Ob wir dazu noch Zeit finden?
Meredith Haaf und ihr Buch "Heult doch"
Bild: PIPER/Tanja Kernweiss

Aus dem Epilog von Heult doch:
Nina Pauer klappert in einem Mix aus Manifest und Erzählung Lebensbereiche ab: Arbeit, Liebe, Freundschaft, Eltern, Politik – Sie geht in die Tiefe, erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit in einem Buch, in dem man sich oft wiedererkennt. Meredith Haaf hingegen führt Statistiken an aus Studierendensurveys und NEON-Umfragen, und untermauert mit Beispielen aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis – fast ausschließlich, weshalb man das Gefühl bekommt, es werde nicht über die Luxusprobleme einer Generation gesprochen, sondern die einer jungen Riege von Journalisten, PR-Fritzen und Social Media Managern.
Auch wenn das Generationenbild bei Haaf konstruiert wirkt, gerade weil es belegt sein will, decken sich ihre Gedanken mit denen von Pauer in Wir haben keine Angst:
Ist das tatsächlich die Beschreibung einer Generation? Oder doch nur die junger, mental mobiler Bildungsbürger? Sowohl Pauer als auch Haaf sagen, wir jungen Menschen haben eigentlich alles. Das bestätigt ein Stück weit auch die Shell-Jugendstudie: 75 Prozent aller Befragten sind allgemein zufrieden mit ihrem Leben – Unter den sozial Benachteiligten sind es allerdings nur 40 Prozent. Diese Schere greifen beide Bücher nicht auf.
Trotzdem betreffen die oben genannten Gefühle viele, wenn ich wie Haaf von meinem Freundeskreis ausgehe. Und dann schließe ich wie die beiden Autorinnen: Es sind nicht die Freiheiten selbst, die uns zu schaffen machen, sondern der Zwang, sie richtig zu nutzen.
Freiheiten wie Sand am Meer, aber Zukunftsangst? Findest du dich hier wieder?
Fabian fand sich sowohl in Anna als auch in Bastian wieder – in letzterem besonders, weil er zwei Monate brauchte, die beiden Bücher zu lesen.
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