TONIC ist umgezogen! Hier gehts zur neuen Seite.
Für *Satansbräten

Privatsphäre? Nein danke!

30. Dezember 2011
Von Fabian Stark

Von wegen Überwachungsstaat: Zur Nacktheit gibt es keine Alternative, und Offenheit bringt Freiheit. Das behaupten zumindest Spackos und Spackessen – so nennen sich Hacker, denen Datenschutz ein Dorn im Auge ist. Ein Besuch auf der Berliner Spackeriade.

Mehr Daten für alle! Eine Forderung der Spackeria.

Mehr Daten für alle! Eine Forderung der Spackeria.

Privatsphäre ist Schnee von gestern. Das sagt diesmal nicht Mark Zuckerberg, sondern die Teilnehmer der so genannten 0. Spackeriade in Berlin. Die Argumentation: Es lohnt sich nicht mehr, für den Datenschutz zu kämpfen. Dank Internet sind wir auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der alles öffentlich ist, und das ist gut. Offenheit bekämpft Vorurteile und Repression. Private Räume hingegen verdecken Missstände, Unterdrückten hilft die Anonymität nichts; Sie müssen sprechen und die Öffentlichkeit suchen. Darum gilt: Lieber zu viel von sich preisgeben als zu wenig. Für eine bessere Welt.

Überwachungsstaat und 1984 sind bisher die Schlagworte der Medien, wenn Facebook mal wieder an den Benutzereinstellungen schraubt, ohne die Welt zu informieren. Datenschutz schreibt man auf dem 28. Chaos Communication Congress, auch gerade in Berlin, eher groß. Constanze Kurz, Sprecherin des dort tagenden Chaos Computer Clubs (CCC), nannte die, die ihren persönlichen Datenschutz nicht ernst nehmen, einmal "Post-Privacy-Spackos" – und prägte so den Namen der Spackeria. Spackeria und CCC sind im Clinch, und doch sieht man auf der Spackeriade einige mit Bändchen des Nachbarkongress.

Wer denkt, er schützt seine Daten, hat die Kontrolle längst verloren

Viele Spackos schauen nachdenklich im Berliner Club HBC, und das ist kein Wunder, denn in der Diskussion um mehr Datenschutz – ob gegenüber Zuckerberg, Schäuble oder von der Leyen – stellten wir selten die Frage: Warum brauchen wir diesen Schutz vor uns selbst eigentlich? "Dann schickt mir Amazon eben Empfehlungen, was soll's", sagen die einen, oder: "Wenn ich das nicht will, muss ich bei Facebook mein Profil nicht haarklein ausarbeiten. Da ist schon jeder selber schuld." Ganz so ist es aber nicht, zeigt Christian Heller in seinem Buch Post-Privacy – Prima leben ohne Privatsphäre: Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston konnten etwa mit hoher Wahrscheinlichkeit feststellen, wie Facebook-Nutzer sexuell orientiert sind. Und das nicht dank Profilangaben, sondern durch das Auswerten der Freunde. Der einzige Ausweg aus der Transparenz sei nach Heller der Verzicht auf Soziales, und das wollen wir ja nicht.

Uneinig sind sich Spackos und Spackessen, ob jedermann seine Privatsphäre hinter sich lassen kann, soll oder muss. Dass Transparenz ein gesellschaftlicher Zwang wird, damit können sich hier einige nicht anfreunden. Und selbst einige der Spackos und Spackessen merken, dass es mit der eigenen Offenheit und Unverklemmtheit noch nicht so weit ist, wie manch einer es gerne hätte. Nach einem Vortrag über Fickileaks, welches Gerüchte über Liebschaften sammelt, geht eine Zuhörerin zum Mikro und fragt: "Aber gibt es keinen Unterschied zwischen Intim- und Privatsphäre?"


Weiterlesen

Texte, die dich auch interessieren könnten.

Kommentare

Noch keine Kommentare vorhanden.