Medizin auf Tibetisch
30. Dezember 2011
Von Helena Schmidt
Ständig muss Helena sich übergeben, ihr Kopf dröhnt: Sie leidet an der Höhenkrankheit. Zur Behandlung wird sie in ein tibetisches Dorfkrankenhaus eingewiesen – und fühlt sich wie ein Tier im Zoo.
Bild: Helena Schmidt/TONIC

Ich wache mit starken Kopfschmerzen und Übelkeit auf, die mich das erste Mal früh am Morgen aus dem Bett und Richtung Bad zwingen. Ich versuche, ein wenig Essen hinunter zu bekommen. Noch nie bin ich mein Frühstück so schnell wieder losgeworden. Allerdings musste ich auch noch nie zuvor Momos, aschgraue, klatschige, von innen feuchte Teigknödel am Morgen hinunterwürgen.
Über Stunden kann ich keinen Tropfen Flüssigkeit bei mir behalten, versinke immer wieder in einen unruhigen Schlaf. Die Reisegruppe – Lehrer und Schüler – reden über mich. Was wäre, wenn ich dehydrierte, hier in Maqên mitten in der Pampa. Die nächste größere Stadt ist acht Stunden mit dem Jeep entfernt. Vorsicht ist besser als Nachsicht, beschließt der Leiter unserer Gruppe. Ich werde in ein Taxi, eine schmuddelige Klapperkiste, verfrachtet, um im nahen Dorf einen Arzt aufzusuchen. Wir rumpeln Richtung Ortskern. Ich umklammere eine Plastiktüte und versuche, den Brechreiz zu unterdrücken.
Eine Weiße, die sich in den Dreck auf der Straße legt, hat man hier noch nie gesehen.
Beim Aussteigen wird mir so schwindelig, dass ich auf den Boden sinke. Freundliche, tibetische Gesichter beugen sich zu mir herab, braune Augen werfen mir mitleidige Blicke zu. Eine Weiße, die sich in den Dreck auf die Straße legt, sichtbar krank, hat man hier zuvor noch nie gesehen. Ein junger Ladenbesitzer eilt mit einer Flasche Wasser herbei. Aufgeregte Tibeter weisen uns den Weg zum Arzt, wollen unbedingt helfen.
Wir landen in einem heruntergekommenen Krankenhaus. Sechs Stunden lang atme ich Sauerstoff über einen Schlauch durch die Nase ein. Alle paar Minuten kommt eine andere Krankenschwester, um zu überprüfen, ob der Tropf mich noch mit Glukose versorgt. Obwohl in diesem heruntergekommenen Hospital weniger Hygiene herrscht, als auf einem DIXI-Klo, fühle ich mich sicher. Die Ärztin kümmert sich rührend um mich, seit diagnostiziert wurde, dass ich an der Höhenkrankheit leide. Mein Körper verträgt die dünne Luft hier auf 3700 m nicht und läutet aufgrund der Sauerstoffunterversorgung alle Alarmglocken. Nach 10 Minuten künstlicher Sauerstoffversorgung war die Übelkeit wie weggeblasen, die Kopfschmerzen auch.
Schockiert beobachte ich, wie meine Hand anschwillt, bis sie prall ist wie ein Luftkissen.
Das Kommen und Gehen von Menschen lenkt mich von dem Gedanken ab, dass ich, sobald der Hahn abgedreht wird und in die Unterkunft zurückkehren muss, erneut zusammenbrechen könnte. Die Ärztin fragt mich verwundert, warum ich mich nicht entspanne. Bei dem Trubel? Ständig betreten Leute den Raum und holen Medikamente, die hier aufbewahrt werden. Die Tür steht sperrangelweit auf. Diese Chance nutzen allerhand Gestalten, die auf den Fluren herumlungern, um einen Blick auf die Weiße zu riskieren, die so bleich wie die Wand selbst an sie gelehnt sitzt. Ich fühle mich wie ein besonders exotisches und begehrtes Exemplar im Zoo.
Schon wieder lugt ein vorwitziger Tibeter um die Ecke mit weit aufgerissenen Augen. Die junge Frau, die gerade die Injektion entfernt hat, wirft mir ebenfalls einen scheuen, erschrockenen Blick zu. Mein Blick wandert von der Ärztin, die mir erklärt, ich könne jetzt gehen, zu der unerfahrenen Krankenschwester und verharrt dort, wo bis vor kurzem die Kanüle saß. Schockiert beobachte ich, wie meine linke Hand immer mehr anschwillt, bis sie prall wie ein Luftkissen ist. Panik flackert in mir auf. Die Ärztin beruhigt mich und erklärt, dass ein wenig Glukose durch die verrutschte Nadel neben die Vene gelangt sei. Sobald die Flüssigkeit von meinem Körper aufgezehrt sei, sähe meine Hand wieder normal aus. Hoffentlich.
Noch keine Kommentare vorhanden.