Demonstrieren für Anfänger
25. Oktober 2011
Von Leo Mayatepek
Auch in Deutschland gehen die Menschen gegen die Auswüchse des Kapitalismus und für transparente Demokratie auf die Straße. TONIC-Autor Leo Mayatepek war dabei – und wünscht sich ein bisschen spanisches Temperament für deutsche Demos.
Am 15. Oktober demonstrierten in Düsseldorf 3.000 Menschen. Eine Woche darauf ist es nur noch ein Bruchteil.

In Düsseldorf haben sich mehrere hundert Menschen am Hauptbahnhof versammelt. Mit selbstgemalten Plakaten, Flugblättern und einem Lautsprecherwagen. Es ist der zweite Samstag, an dem Menschen in Deutschland auf die Straße gehen. Gegen den Finanzkapitalismus. Für eine bessere Demokratie. Vorbild sind die Demokratie-Bewegungen in Nordafrika und Spanien, sowie "Occupy" in den USA.
Als vor einer Woche der "worldwide day for global change" ausgerufen wurde, kamen fast 3000 Demonstranten. Heute ist es nur ein Bruchteil. 500 Leute mögen es sein. Was ist in dieser einen Woche passiert? Was hält die Bewegung zurück?
"Nur Chuck Norris kann uns stoppen!" steht auf einem Plakat. Was also hat Chuck Norris angestellt?
Die Demonstrationskultur in Deutschland befindet sich konditionell in einem äußerst miserabel trainierten Zustand.
Hat er sämtliche Informationskanäle gekappt? Wohl kaum. Noch auf der Demo vom 15. Oktober wurde verkündet, dass man sich an diesem Samstag wieder treffen wolle. Unter der Woche wurde sogar ein Live-Stream vom Martin-Luther-Platz, dem Camp der Aktivisten, gesendet. Facebook und Twitter wurden fast stündlich mit neuen Posts und Tweets versehen. Ja, selbst Mundpropaganda hat stattgefunden. Es muss einen anderen Grund haben.
Die Demonstrationskultur in Deutschland ist einzigartig. Man könnte auch sagen, sie befindet sich konditionell in einem äußerst miserabel trainierten Zustand. Tut man laut Protest kund, muss man sich hierzulande rechtfertigen. In Spanien dagegen braucht gute Gründe, wer nicht zur Demo kommt.
Zustimmung kommt von allen Seiten, einen Forderungskatalog gibt es aber nicht.

Dabei ist die Zustimmung überwältigend. Plötzlich erklären Politik und Medien Banker und Banken zum Staatsfeind. "Die Occupy-Leute finden so viel Gehör, weil sie Recht haben", schreibt Die Zeit und fordert auf ihrer Titelseite "Bändigt die Banken!" Ein Patentrezept zur Lösung der Krise hat indes niemand. Die Demonstranten bilden eine zu heterogene Masse. Es gibt keine Identifikationspersonen. Keinen einheitlichen Forderungskatalog. Die Politik wirkt hilflos, überfordert, während die Spekulanten an den Börsen munter weiter zocken.
Und was ist euer Beitrag zur Occupy-Bewegung?
Gegen 13.15 Uhr zieht der Demonstrationszug in aller Stille los. Deutsche Empörung. Die kennt man höchstens vom Klagen über die Preise der Deutschen Bahn, die (Un)Pünktlichkeit der Deutschen Bahn oder das Wetter, wenn es in den Zügen der Deutschen Bahn zu heiß wird. Empörung über die Ungerechtigkeiten des System, in dem wir leben? Dafür ist man sich zu fein. "Das kann man doch eh nicht ändern!" ist Couchpotatokonsens.
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FranziAm 14. Januar 2012
Ziele sind nicht "heer", sondern "hehr".