Im Zweifel ohne Religion
11. September 2011
Von Anja Bossow
In der Sonntagsschule bekommt Anja den Unterschied zwischen Erkenntnis und Erleuchtung erklärt, Mutter Sabine lädt sie zum Essen ein. Trotzdem steht nach vier Wochen Einblick in das Leben der Mormonen für sie fest: Religion? Nein, danke.
Mama Sabine und Oma Beate laden zum Essen ein.
Bild: Veronika Raupach

Ich puste gerade Seifenblasen über die Binnenalster, als mein Handy klingelt. Es ist eine unbekannte Nummer. Merkwürdig. Beim Abnehmen bestätigt sich mein erster Gedanke: Es ist Sister Singer. Aus Versehen duze ich sie, als sie sich erkundigt, ob ich am Sonntag kommen würde. Ich versichere meine Anwesenheit, tausche noch ein paar Floskeln aus und lege auf. Oh nein.
Mittagessen mit Mutter Sabine und Oma Beate? Lieber nicht!
Am Sonntag werde ich schon begrüßt wie ein vollwertiges Mitglied. Mittlerweile habe ich auch ein schlichtes, schwarzes Kleid aufgetrieben. Es ist zwar nicht knielang, aber nah dran. "Wenn du willst, kannst du heute bei uns Mittagessen." Mutter Sabine lächelt mich freundlich an. Moment mal. Hat sich mich gerade tatsächlich zum Mittagessen eingeladen? Mich, eine wildfremde Person, die lediglich dreimal in ihrer Kirche aufgetaucht ist und vorgibt, ein Schulprojekt in den Sommerferien zu machen? Ist das etwa ein Bekehrungsversuch? Beginnt jetzt der Sektensog? Oder hat er mich schon erfasst? Ich fühle mich plötzlich etwas eingeengt zwischen Mama Sabine und Oma Beate. Nicht mehr pfundig und herzlich, sondern vielmehr massig und ein bisschen bedrohlich.
Keiner der Menschen hier wird je im Stich gelassen werden.
Ich bedanke mich, aber verneine. Der sonntägliche Familienschmaus habe bei uns Tradition. Hat er tatsächlich, aber auch sonst hätte ich die Einladung nicht angenommen. Mehr als jeden Sonntag vier Stunden halte ich die Mormonen nicht aus. Das ist mir mittlerweile klar. Es liegt nicht an den Menschen. Nach wie vor fühle ich mich hier willkommen. Es ist ein ruhiger Ort, ein Treff für Freunde, ein gemeinsamer Ritus für die Familie und ein Pol der Entspannung für viele. Das strahlt jeder Einzelne aus und ich finde es bewunderns- und auch ein bisschen beneidenswert, Teil einer derartig festen und verlässlichen Gemeinschaft zu sein. Keiner der Menschen hier wird je im Stich gelassen werden. Wenn es Probleme gibt, bietet die Kirche immer eine Anlaufstelle. Das schafft Vertrauen und es gibt den Menschen eine Besonnenheit und Selbstsicherheit, die ich manchmal auch gerne hätte. Aber für mich ist die Kirche nicht der richtige Ort, um sie zu finden. Ich ziehe keine Ruhe aus dem Gebet, keine Zufriedenheit aus Toastbrot und keine Selbstsicherheit aus dem Glauben an den Heiligen Geist.
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Dieter PicklappAm 19. September 2011
Aus Versehen duze ich sie, - (aus Versehen?) Ich versichere meine Anwesenheit, tausche noch ein paar Floskeln (Warum Floskeln, warum keine ehrliche Antwort? und warum: Oh nein, und doch hingegangen???
Um Fehler zu finden??? Dieses arme Mädchen sagt eine Menge über sich selbst aus, aber nichts über Mormonen (außer, dass sie freundlich sind.