Zwischen iPhone und Erleuchtung
18. August 2011
Von Anja Bossow
Ein gläubiger Mormone widmet sein ganzes Leben Gott und der Kirche. Warum nur? Um das nachzuvollziehen, besucht Anja vier Wochen lang die mormonische Kirche in Hamburg und trifft auf Herzlichkeit und Widersprüche.
Mit ihrer Jeans wirkt Anja genau wie die Exotin, die sie ist.
Bild: Veronika Raupach

Ich bin verdammt müde. Schwester Mirja scheint das nicht zu bemerken. Kein Wunder, schließlich findet sie sich schon seit neunundzwanzig Jahren jeden Sonntag hier ein.
Schwester Mirja ist groß und opulent. Sie hat einen Kurzhaarschnitt mit Fransenpony, trägt eine Hipsterbrille und wirkt auch sonst ziemlich durchgestyled in ihrem Etuikleid. Ein ganz normaler Mensch. Kein schwarzer Umhang, keine Bekehrungsversuche, kein Sektengemurmel, sondern ganz normal, so wie ich. Mit einem Unterschied: Schwester Mirja ist Mormonin.
Mir ist noch nie der Heilige Geist erschienen, mein Leben hab ich bisher auch ohne Gott auf die Reihe bekommen.
Ich bin eigentlich einer dieser Menschen, die es nur zu Weihnachten aus schlechtem Gewissen und Familienzwang in die Kirche treibt. Mir ist noch nie der Heilige Geist erschienen, mein Leben hab ich bisher auch ohne Gott auf die Reihe bekommen und die Jungfrau Maria war für mich auch immer nur eine verzweifelte Frau, die ihrem gläubigen Ehemann wahrscheinlich schlichtweg fremdgegangen war und ihm aus Angst die Geschichte mit dem Heiligen Geist aufgetischt hat. In Kirchen bin ich fehl am Platz. Sie sind zu massiv, zu kalt, zu protzig und geben mir das Gefühl, unwillkommen und wertlos zu sein.
Man begrüßt sich herzlich mit Handschlag und Umarmung, Anonymität gibt es nicht.
Bei der Kirche Jesu Christi der Letzten der Heiligen Tage ist es anders. Hier ist es schön. Hier gibt es nur ein modernes, großzügiges, weißes Haus und eine offene, friedliche Atmosphäre, die jeden willkommen heißt. Die Kirche ist ganz anders als die katholischen und teilweise auch evangelischen Kunstwerke. Es gibt keine überfrachteten Barockaltarmonstren, keine überlebensgroßen Statuen Jesu Christi und ein bisschen laut ist es außerdem. Man begrüßt sich herzlich mit Handschlag und Umarmung. Auch mich. Schließlich bin ich neu. Eine Nichtmormonin. Ich fühle mich mit meiner blauen Jeans etwas fehl am Platz. Alle Frauen hier tragen Röcke oder Kleider, knielang und hochgeschlossen. Ein bisschen hab ich das Gefühl, mich in einer alten Hollywoodproduktion zu befinden. Nur die iPhones verraten mir, dass ich doch noch im 21. Jahrhundert bin.
Der Gebetsraum ist schlicht, weiß getüncht, mit hellen Holzmöbeln, einer großen Bühne, ohne Verzierung, ohne die Heiligenbildchen, die man auf der Website oder in den Broschüren bewundern darf. Ich fühl mich wohl, besser aufgehoben als in meiner eigenen Kirche. Die Menschen reden sich beim Vornamen an, fragen mich, warum ich hier sei, zeigen echtes Interesse. Anonymität gibt es hier nicht.
Lob, Dank und Ehre
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