Nicht von dieser Welt
28. August 2011
Von Anja Bossow
Die Mission bedeutet Abschottung von der Welt, keine Ablenkung von der Studie der Schrift.
Bild: Veronika Raupach

Missionieren ist ein elementarer Bestandteil bei den Mormonen. Theoretisch ist es den Jugendlichen freigestellt, ob sie für zwei Jahre ihre Familie verlassen und ans andere Ende der Welt gehen, aber im Grunde mehr als erwünscht. Wer geht, ist einem ziemlich brutalen Trennungsprozess ausgesetzt. Und das auf eigene Kosten, denn die Kirche zahlt nichts.
Einmal die Woche darf man der Familie eine E-Mail schicken und an zwei Tagen im Jahr telefonieren. Davon abgesehen ist die Benutzung von Internet, Fernsehen und anderen weltlichen Errungenschaften untersagt, denn sie könnten ablenken. In der Freizeit darf man vielleicht ein Fußballspiel veranstalten oder bei Mitgliedern der Kirche zu Abend essen. Ansonsten gilt es die Schriften zu studieren, den Glauben zu durchdringen und neue Anhänger zu gewinnen.
Nicht VON dieser Erde, nur für gewisse Zeit AUF ihr.
Sister Singer hat eine Partnerin, mit der sie sich eine winzige Wohnung teilt. Es ist der einzige freundschaftliche Umgang, den sie pflegen darf. Dem anderen Geschlecht darf sie nicht alleine begegnen, geschweige denn sonstigen Kontakt aufnehmen. Selbst Telefonate oder Briefe sind verboten. Es ist eine Abschottung vom Rest der Welt, sodass jegliche Zweifel an der Lehre unmöglich werden. Und nach zwei Jahren bedingungslosen Studiums des Glaubens, sind auch die Unsicheren endgültig erleuchtet und errettet. Ein kluger Schachzug.
Für Sister Singer ist die Mission eine Ehre. Sie ist im Auftrag Gottes unterwegs. Denn sie ist nicht VON dieser Erde, sondern nur AUF der Erde, um Ungläubigen wie mir den richtigen Weg zu weisen. Eine ziemlich bedeutungsvolle Aufgabe für eine Neunzehnjährige.
Ein bisschen merkwürdig gekleidet, aber doch ganz normal.
Dass ich eigentlich ganz zufrieden bin mit meinem Leben, ist ihr egal. Ich habe nur noch nicht Gottes Plan für mich erkannt. Aber der ist mir wiederum egal. Von mir aus kann gerne jemand auf seiner Wolke sitzen und an meinem Lebensplan basteln. Solange ich das nicht sehe, glaube ich sowieso, dass alles in meiner Hand liegt. Sister Singer versteht das nicht. Aber sie schenkt mir ein Buch Mormon, damit ich die Geschichte von Joseph Smith, dem Gründer der Kirche, nachlesen kann. Das ist nett von ihr.
Sister Singer war bestimmt noch nie betrunken oder hat andere schädliche Stoffe zu sich genommen. Derartige Substanzen vertreiben den Heiligen Geist und nehmen ihr die Gottesnähe. Sie war auch noch nie in einem Nachtclub, ist im kurzen Schwarzen herumgelaufen, hatte eine richtige Beziehung oder hat Basic Instinct angesehen. Ziemlich merkwürdig für Jemanden in meinem Alter. Aber wenn sie so neben mir steht und wir uns über Schule, Amerika und die Welt unterhalten, dann finde ich sie trotzdem ganz normal. Ein bisschen merkwürdig gekleidet, aber eigentlich auch nur ein junges Mädchen. So wie ich.
Lob, Dank und Ehre
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