Als der Catwalk zur Bühne wurde
10. Juli 2011
Von Eva Schulz
Dass auf der Berliner Fashion Week keine Strohpuppen über den Laufsteg wandeln und Heidi Klum bei Pro7 arbeiten darf, haben wir Charles Frederick Worth zu verdanken – der Engländer machte aus dem Schneider-Handwerk eine Kunst.
Charles Frederick Worth (1825-95), der erste Exzentriker unter den Modeschöpfern
Bild: Gaspard-Félix Tournachon, Bernd Möller/TONIC

Patrick Mohr schickte seine Models auf der Berliner Fashion Week in merkwürdigen Einteilern mit tiefem Schritt und freiem Rücken über den Laufsteg. Die sehen zwar ganz lässig aus, aber ginge vielleicht auch eine andere Farbe? Oder etwas weniger nackte Haut? Nein. Designerstücke kauft man so, wie sie sind – oder gar nicht. Als Charles Frederick Worth 1825 im englischen Bourne geboren wurde, war das noch ganz anders. Modemacher waren Handwerker, keine Künstler. Die Kundinnen diktierten bis ins letzte Detail, wie ihre Kleider auszusehen hatten. Doch es war an Worth, den Spieß umzudrehen.
Als junger Mann absolvierte er in London eine Lehre als Stoffverkäufer. Die Modewelt faszinierte ihn so sehr, dass er 1845 nach Paris auswanderte, um in einem feinen Stoffhaus zu arbeiten. Dort schneiderte er seidene Kleider für seine Frau – und machte schon damit Furore.
Marketingtrick: Das kostenlose Kleid für die Frau des Botschafters
Worth war ein genialer Selbstvermarkter. Er bot der Frau des österreichischen Botschafters an, sie kostenlos einzukleiden – wohlwissend, dass ihm das die Türen zur High Society öffnen würde. Auf einem Staatsball wurde Kaiserin Eugénie, die Frau Napoleons III., auf das aufwendig verzierte silberne Tüllkleid der Österreicherin aufmerksam. Damit hatte Worth einen neuen, sehr prominenten Fan. Als dann auch noch Kaiserin Sissi seine Kreationen trug, dauerte es nicht mehr lange, bis er einen Investor fand und sein eigenes Modehaus eröffnen konnte: das House of Worth.
Diese Firma wurde so etwas wie das Google unter den Modeunternehmen des 19. Jahrhunderts. Worth schuf ein neues internationales Vertriebssystem für Schnittmuster, er machte den damals üblichen Beruf der "Modistin" überflüssig und bestimmte mit seinen unkonventionellen Entwürfen ein neues Schönheitsideal. Zum Beispiel gefiel es ihm überhaupt nicht, dass die Röcke der Damen mithilfe von Gestellen immer größer und größer wurden. Deshalb entwickelte er einen neuen Unterrock, die Tournüre. Der Rock fiel jetzt vorne flach nach unten und wurde auf der Rückseite umso mehr aufgebauscht. Die neue Form wurde schnell zum Megatrend. Genauso wie der knöchellange Rock. Was damals schockierend kurz war, ist heute als Maxidress wieder in.
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