Von SM zu Bionade
1. Juni 2011
Von Fabian Stark
Die Jugend von heute! U-Bahn-Schläger, Komasäufer, Pornogucker. Von wegen: Im Schnitt sind wir langweilig wie ein Furz – ach ja? Ein Interview mit den Jugendkulturforschern Tilo Grenz und Paul Eisewicht.
Morgens Anwalt, abends Raver: Die Jugend führt eine Bastelexistenz
Bild: Veronika Raupach

Die Jugend von heute ist die bravste seit langem. Sie raucht weniger, hat später Sex und ist nicht krimineller als früher, sagt Klaus Farin, Leiter des Jugendkultur-Archivs in Berlin. Das gilt wohl auch für Indie, eine der größten Jugendkulturen der letzten 20 Jahre.
Tilo: Stimmt. Indie vertritt bürgerliche Werte und orientiert sich an höherer Bildung, etwa im Independent-Kino; Freundschaft und Gleichberechtigung schreibt man groß. Das erklärt auch, warum es in der Indie-Szene eine Fifty-Fifty-Teilung zwischen Jungs und Mädels gibt, was in anderen Szenen nicht so ist, die sind meistens Männer-dominiert. Ein Indie-Mädchen hat uns in einem Interview erzählt, wie jemand auf einer Party einer anderen an den Po gefasst hat, darüber hat sie sich zehn Minuten lang aufgeregt.
Paul: Dadurch will sich Indie auch von der Übersexualisierung von Hip-Hop und Techno abgrenzen. Jugendkulturforscher haben lange gemeint, dass sich Szenen immer entlang einer Provokations-Steigerung entwickeln. Der Indie dagegen steigert nicht die Provokation, sondern kontert. Da kommen der Neo-Biedermeier und die Bionade-Bohème. Die Jugendszenen heute grenzen sich nicht mehr von ihren Eltern ab, sondern von anderen Gruppen.
In der letzten Shell Jugendstudie heißt es, 90 Prozent aller Jugendlichen haben ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Spricht dann noch was dagegen, deren Werte einfach zu übernehmen?
Paul: Indie reagiert auf den Burn-Out des Widerstands: Die revolutionäre Haltung der Jugendszenen ist schon seit 30 Jahren im Gange, wenn man den Punk zum Maßstab nimmt. Doch man hat das Gefühl, dass sich nichts verändert hat. Eher haben sich die Eltern verändert, weil auch die in Jugendszenen groß geworden sind. Die Rebellion zählt heute für die Jugendlichkeit nicht mehr.
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jazzAm 1. Juni 2011
cooles interview, vielen dank!
linda_blumeAm 2. Juni 2011
bionade-bohème xD kuhler begriff! und wirklich ein gutes interview.
JonathanAm 2. Juni 2011
Kann mich nur anschließen: Wirklich gutes Interview, das viele meiner eigenen Eindrücke auf den Punkt bringt.
GustavAm 4. Juni 2011
Vermutlich muss man Innen und Außen neu definieren, um klarzustellen, wer sich nun abschottet oder aber die Veränderungen der Außenwelt in den Lebensstil integriert.
Ein Gedankengang meinerseits: Ich traue dieser Theorie nicht recht, dass "die Jugend" sich gleichviel engagiert wie einst, nur heimlicher und anders. Wo sind die weltbewegenden Massen, die gegen Atomstrom protestierten, und zwar zeitlich vor Japans Katastrophe, also weitgehend unbeeinflusst von den Massenmedien und der großen Protestwelle, die ohne BILD und Konsorten nicht möglich gewesen wäre?
Probleme gibt es im Hier und Jetzt genug: Zweifelhaftes Schulsystem, schlechte Arbeitsbedingungen, eingeschränkte Mobilität. Ich habe den Eindruck, dass früher mehr los war und woanders mehr los ist, wenn Missstände beseitigt werden sollen. Die einzigen Protestler sollen Punks sein? Hmm … ääh … nee.