Schnurlos glücklich
1. Juni 2011
Von Gustav Beyer
Gustav ist kein Alien. Dennoch sprechen fremde Leute scheinbar durch ihn durch. Stimmen aus dem Jenseits oder schlechte Synchronisation der Realität? Beides falsch: Es sind die Mobiltelefonierer ohne sichtbares Telefon. Gustav ist ihnen nicht nur im Schnellimbiss begegnet.
Bild: Laurenz Raschke

Die Lasagne ist grässlich. Wie üblich. Oben halb abgefackelt, mittig schlecht gewürzt, unten am Teller festgeklebt. Dazu der Geruch. Auch die Umgebung schmeckt mir nicht: In meinem favorisierten Schnellimbiss dümpeln geschätzte 32 fremde Menschen vor sich hin. Ich bin allein und doch nicht allein. Die Frau, die mir halbschräg gegenüber sitzt, irritiert mich besonders. Klein, braunhaarig, um die 30. Ihre Körperfigur lässt erahnen, dass sie nicht selten in diesem Imbiss zu speisen pflegt. Doch das ist es nicht, was mich konfus werden lässt. Die Dame isst nicht, sie spricht zu mir. Oder durch mich durch? Die Leere ist Gesprächspartner, die Augen sind auf mich gerichtet. Eine groteske Situation. Ich unterbreche die Nahrungszufuhr und gehe der Sache auf den Grund.
Ich entdecke die Ohren der Frau. Im rechten von beiden steckt was drin. Etwas Schwarzes. Ihr wahrer Gesprächspartner. Sie telefoniert. Mit Knopf im Ohr, Mikro vorm Maul, Handy in der Tasche. Ihr Blick könnte überall hinwandern, jetzt ist er auf mir und meinem Teller geparkt. Die Frau quatscht mir frei nach Loriot ins Essen. Menschen, die schnurlos telefonieren, ohne ihre mobile Kommunikationseinrichtung in den Händen zu tragen, machen mich ganz matsche im Kopf. Konversation per Freisprecheinrichtung, Irritation der Mitmenschen durch verirrte Anglotzmanöver. Ist das Gesprächskultur?
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