„Die Sprache kann nichts dafür“
15. Juni 2011
Von Anne Kratzer
Warum "Ausländer" negativer klingt als "Migrant" und "Russe" einen schaleren Beigeschmack hat als "Franzose". Ein Interview mit dem Sprachwissenschaftler Professor Hermann Scheuringer.
Durch welche Brille wir ein Wort betrachten entscheidet über positiven oder negativen Beigeschmack

Guten Tag, Herr Professor Scheuringer. Wie kommt es, dass das Wort "Türke" komischer klingt als "Muslim"?
Wieso soll "Türke" schlecht sein? Wenn das einfach der Mensch aus der Türkei ist oder einer, der türkisch spricht? Wir machen es schlecht, indem wir etwas negativ einschätzen und werten. Die Sprache kann da nichts dafür.
Das heißt, der gute oder schlechte Beiklang eines Wortes kommt nur von unserer Einschätzung. Ist es also gar nicht von Bedeutung, wenn etwa die Wortmelodie hart klingt?
Nein, der Beigeschmack eines Wortes liegt nur daran, wie wir dieses Wort interpretieren. Dinge mit gleicher Lautung werten wir oft das eine Mal schlecht und das andere Mal gut. Beispielsweise sagt man im bayerischen Dialekt der "Mo" für Mann oder "scho" für schon. Genau die gleichen Laute gibt es im Französischen. Da klingt ein Name wie "Jean" für uns vornehm, weil für Nicht-Franzosen alles im Französischen elegant klingt. Die Lautung ist also im Prinzip ganz egal, es ist einfach nur unsere Einschätzung, die die Wahrnehmung des Wortes beeinflusst.
Deutschland hat gegen die Franzosen Krieg geführt, Deutschland hat gegen die Russen Krieg geführt. "Russe" klingt dennoch negativer als "Franzose". Warum?
Weil man heutzutage die Russen immer noch mit russlanddeutschen Zuwanderern verbindet. Aber auch, weil es eine alte Tradition in Europa gibt vom Westen auf den Osten herabzublicken. Das ist von den Deutschen gegenüber den Slawen eine jahrhundertlange Tradition. Und bei den Franzosen gegenüber den Deutschen ist es genauso. Aber wir sehen, dass Dinge sich auch verändern können. Mit "Franzose" verbindet man nichts Schlechtes mehr. Oder hat das vielleicht auch noch nie trotz der vielen Feindschaften. Die französische Kultur war immer ein Vorbild.
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