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Für *Wehrpflichtige

Alt, staubig sucht jung, willig

30. Juni 2011
Von Christian Mehrmann

Christian aus Dresden ist Autor bei TONIC

Texte von Christian
autor@tonic-magazin.de

Christian Mehrmann

In diesen Tagen endet die Grundausbildung der letzten Wehrpflichtigen. Schon jetzt herrscht Leere in Deutschlands Kreiswehrersatzämtern. Im Kampf um qualifizierten Nachwuchs muss die Bundeswehr feststellen, dass Behörden sich nicht von selbst in Top-Unternehmen verwandeln.

Dieses Schild weist einen Weg, den nur noch wenige gehen. Kaum einer bewirbt sich nach der Reform freiwillig bei der Bundeswehr

Dieses Schild weist einen Weg, den nur noch wenige gehen. Kaum einer bewirbt sich nach der Reform freiwillig bei der Bundeswehr

Oberamtsrat Fleischer scheint zufrieden mit seiner Arbeit. Stolz präsentiert er stapelweise Briefe, in denen Broschüren mit Informationsmaterial zum neuen Freiwilligen Wehrdienst stecken. Adressiert sind sie an tausende junge Männer, die nach dem Wegfall der Wehrpflicht nicht mehr zur Musterung erscheinen müssen. Stattdessen lädt das Kreiswehrersatzamt Dortmund zum Informationsgespräch ein.

Durch die Bundeswehrreform ist die Behörde gezwungen, auf eigene Faust für den Nachwuchs an Rekruten zu sorgen, der sonst per Gesetz kam. Denn seit 1. Januar dieses Jahres kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass jeden Tag 70 bis 80 Wehrpflichtige zur Musterung an die Tür des Kreiswehrersatzamtes klopfen.

Helmut Fleischer ist schon sein gesamtes Berufsleben in der Wehrverwaltung tätig – 38 Jahre lang gingen die Wehrpflichtigen bei ihm ein und aus. Doch nun sind die Gänge leer. Wo sonst dutzende junger Männer auf ärztliche Untersuchungen und psychologische Tests warteten, harren die Warteräume selbst der Nutzung. Ärzte und Sachbearbeiter sind auf Lehrgängen oder bereits abkommandiert.

An den Türen lassen lediglich Borussia Dortmund-Aufkleber Leben vermuten. Ein einziger Freiwilliger sitzt vor der Tür der Wehrdienstberatung. Insgesamt werden es heute nicht mehr als sieben bis acht Leute sein.

Doch Fleischer muss auch nach Wegfall des Pflichtdienstes weiterhin für den personellen Nachschub in den Kasernen sorgen. Eigentlich müsste er jetzt den Beruf ändern. Denn was das Kreiswehrsatzamt braucht, ist eine Marketingabteilung und eine effektive Personalwerbung.

Früher kamen jeden Tag 70 bis 80 Wehrpflichtige zur Musterung, mittlerweile kommen an guten Tagen sieben oder acht Freiwillige.

Früher kamen jeden Tag 70 bis 80 Wehrpflichtige zur Musterung, mittlerweile kommen an guten Tagen sieben oder acht Freiwillige.

Weil sich aber aus einer jahrzehntealten Behörde nicht kurzerhand ein marktführendes Unternehmen machen lässt, ist die Bilanz derzeit miserabel: Allein in NRW hätten zum Beginn des zweiten Quartals 2011 Hunderte neue Wehrdienstleistende in die Kasernen einrücken müssen. Ganze 23 waren da.

"Jede Behörde ist sich da selbst überlassen", sagt Bernhard Günzel, der Chef von Herrn Fleischer. "Wo’s hingeht, weiß keiner." Auch von der Bundesregierung erwarten sich Fleischer und Günzel nicht viel Unterstützung.

Nicht jeder Mini-Rambo sollte Soldat werden
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Kommentare

GustavAm 2. Juli 2011

Und der ehemalige Zivildienst? Da geht das Drama direkt weiter. In einer verzweifelten Kampagne versuchen die Verantwortlichen, junge Menschen an Land zu ziehen. Freiwillig, lohnend, wasweißich. Die Beteiligung ist ebenso mager wie beim Militär.

Möglichkeit #1: Sich fragen, wieso überhaupt.

Möglichkeit #2: Das Programm ändern.

Möglichkeit #3: Das Programm aufgeben.

Bin gespannt auf die Entwicklung...